Beschluss vom 05.08.2004 -
BVerwG 7 B 9.04ECLI:DE:BVerwG:2004:050804B7B9.04.0

Leitsatz:

Weder der Wortlaut noch der Zweck des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG lassen seine erweiternde Auslegung im Sinne eines umfassenden Surrogatanspruchs zu. Ist weder ein Unternehmen als solches geschädigt noch eine Beteiligung an ihm entzogen, ist der Anwendungsbereich der Norm nicht eröffnet.

Beschluss

BVerwG 7 B 9.04

  • VG Greifswald - 22.10.2003 - AZ: VG 6 A 2483/00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. August 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H e r b e r t und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 22. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Die Klägerin begehrt aus abgetretenem Recht, ihr nach dem Vermögensgesetz mehrere Unternehmen zurückzuübertragen sowie an zahlreichen Grundstücken Bruchteilseigentum einzuräumen.
Zu den zurückbegehrten Unternehmen gehören zum einen die ehemalige "Neue Heimat"-Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft der Deutschen Arbeitsfront mbH im Gau Mecklenburg Schwerin ("Neue Heimat" GmbH Schwerin) und zum anderen insgesamt zehn Tochterunternehmen dieser Gesellschaft ("Neue Heimat"-Kreisgesellschaften mbH). Mehrheitsgesellschafter der 1935 noch unter anderem Namen gegründeten "Neuen Heimat" GmbH Schwerin war seit Anfang 1939 die Treuhandgesellschaft für wirtschaftliche Unternehmungen der Deutschen Arbeitsfront mbH. In der Folge erwarb die "Neue Heimat" GmbH Schwerin Mehrheitsbeteiligungen an den daraufhin umbenannten "Neue Heimat"-Kreisgesellschaften, die ihrerseits überwiegend in den Jahren seit 1935 gegründet worden waren. Neben der "Neuen Heimat" GmbH Schwerin war an einem Teil der "Neuen Heimat"-Kreisgesellschaften mbH seit 1939 auch die Treuhandgesellschaft für wirtschaftliche Unternehmungen der Deutschen Arbeitsfront mbH unmittelbar beteiligt. Die "Neue Heimat"-Kreisgesellschaften mbH erwarben und bebauten die Grundstücke, an denen die Klägerin Bruchteilseigentum eingeräumt haben will.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Vermögensverwaltungs- und Treuhandgesellschaft des DGB mbH machten Ende 1990 vermögensrechtliche Ansprüche auf Vermögenswerte geltend, die dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund, dem Allgemeinen Freien Angestelltenverband, dem Zentralverband der Deutschen Angestellten, dem Gesamtverband der Christlichen Gewerkschaften nebst Unterorganisationen, dem Gewerkschaftsring der Deutschen Angestellten, Arbeiter und Beamten nebst Unterorganisationen, dem Gewerkschaftsbund der Angestellten sowie dem Deutsch-Nationalen Handlungsgehilfenverband gehört hatten und diesen im Zuge ihrer verfolgungsbedingten Auflösung entzogen worden waren. Sie traten ihre vermögensrechtlichen Ansprüche an die Klägerin ab, welche sie im Jahre 1997 auf die hier streitigen Ansprüche präzisierte und geltend machte: Die Treuhandgesellschaft für wirtschaftliche Unternehmungen der Deutschen Arbeitsfront mbH sei mit dem Vermögen der aufgelösten Gewerkschaften ausgestattet worden und habe mit diesem Vermögen die unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungen an den "Neue Heimat"-Gesellschaften erworben; auch die streitigen Grundstücke seien deshalb aus Mitteln der aufgelösten Gewerkschaften erworben worden.
Der Beklagte lehnte den Restitutionsantrag ab, das Verwaltungsgericht wies die Klage der Klägerin ab: Ansprüche nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG bestünden nicht. An keiner der betroffenen Gesellschaften seien die aufgelösten Gewerkschaften oder diesen zuzurechnende Gesellschaften beteiligt gewesen.
Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Die Rechtssache hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
a) Die Klägerin möchte zunächst die Frage geklärt wissen,
ob in den Fällen des § 1 Abs. 6 VermG der Begriff des Unternehmens in § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG dahin auszulegen ist, dass hierunter auch eine Gesamtheit an Vermögenswerten verstanden werden kann, welche mehreren Rechtsträgern gehört hatte und die erst nach der Schädigung bei einem Rechtsträger zusammengefasst wurde, jedenfalls dann, wenn die Vermögensmasse abgrenzbar und bewertbar ist und die Rückgabeansprüche wegen der jeweiligen Ausgangsunternehmen in einer Hand liegen.
Die Klägerin betrachtet das Vermögen aller aufgelösten Gewerkschaften, jedenfalls soweit es ehemals wohnungswirtschaftlichen Zwecken gewidmet war, ungeachtet seiner Zuordnung zu verschiedenen Gewerkschaften als einheitliche Vermögensmasse. Sie soll für die Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG als entzogenes Unternehmen anzusehen sein, das im Sinne dieser Bestimmung zurückzugeben ist und (in Teilen) bereits aufgrund der alliierten Rückerstattungsgesetze zurückgegeben ist. Die damit eröffnete Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG soll es ermöglichen, zum einen Bruchteilseigentum an den Beteiligungen zu begründen, welche die Treuhandgesellschaft für wirtschaftliche Unternehmungen der Deutschen Arbeitsfront mbH als Verwalterin des entzogenen gewerkschaftlichen Vermögens unmittelbar und mittelbar an den "Neue Heimat"-Gesellschaften erworben hat, zum anderen Bruchteilseigentum an den Grundstücken einzuräumen, welche diese Gesellschaften ihrerseits erworben haben.
Indes bedarf es nicht der Zulassung der Revision, um die aufgeworfene Frage zu beantworten. Die Antwort auf sie ergibt sich vielmehr unmittelbar aus dem Gesetz und den hierzu bereits ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts.
Danach ist schon die bloße Zusammenfassung von Vermögenswerten kein Unternehmen im Sinne des Vermögensgesetzes. Das Vermögensgesetz behandelt Unternehmen als eigenständige Vermögenswerte, weil sie sich - über die bloße Zusammenfassung von einzelnen Vermögensgegenständen hinaus - als Vermögensmassen darstellen, die als organisierte Einheiten am Markt auftreten und von einem einheitlichen wirtschaftlichen Zweck geformt sind. Bestimmendes Merkmal des Unternehmensbegriffs ist der wirtschaftliche Zweck (vgl. Urteil vom 20. November 1997 - BVerwG 7 C 40.96 - Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 35). Er ist erfüllt, wenn der Betrieb planmäßig und auf Dauer angelegt eine wirtschaftliche Tätigkeit am Markt entfaltet, d.h. Produkte oder Dienstleistungen gegen Entgelt anbietet. Diesen Begriff des Unternehmens verwendet das Vermögensgesetz einheitlich (Urteil vom 25. Oktober 2001 - BVerwG 7 C 10.01 - Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 31).
Davon ausgehend liegt ohne weiteres auf der Hand, dass der Begriff des Unternehmens in § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG nicht anders bestimmt werden kann, zumal es sich um eine Regelung handelt, welche die Unternehmensrückgabe ergänzt. Ebenso ist nicht mehr klärungsbedürftig, dass Vermögenswerte, die vor ihrer Entziehung verschiedenen Rechtsträgern zugeordnet waren, ohne eine organisierte Einheit zu bilden, kein Unternehmen im Sinne des Vermögensgesetzes darstellten und auch noch nicht dadurch zu einem Unternehmen werden, dass sie nach ihrer Entziehung einem Rechtsträger übertragen werden.
b) Deshalb können die weiteren Fragen,
ob in den Fällen des § 1 Abs. 6 VermG die Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG dahin auszulegen ist, dass von dem dort verwendeten Begriff der (später angeschafften) Vermögensgegenstände auch Grundeigentum erfasst wird, das nicht unmittelbar selbst von dem Unternehmen, sondern mittelbar über ein von diesem gegründetes Grundstücksunternehmen erworben wurde,
ob in den Fällen des § 1 Abs. 6 VermG die Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG ergänzend dahin auszulegen ist, dass unter dem dort verwendeten Begriff der (später angeschafften) Vermögensgegenstände auch Beteiligungen an weiteren Unternehmensträgern zu verstehen sind, jedenfalls sofern die Unternehmensträger die im Wege der Restitution herausverlangten Grundstücke angeschafft haben,
die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen. Sie würden sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht mehr entscheidungserheblich stellen und könnten daher dort nicht beantwortet werden. Denn sie setzen voraus, dass die den aufgelösten Gewerkschaften entzogenen Vermögenswerte ein Unternehmen gebildet haben, das seinerseits Beteiligungen an anderen Unternehmen erworben und über diese Grundstücke angeschafft hat.
2. Das angefochtene Urteil weicht nicht im Verständnis von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ab, welche die Klägerin in ihrer Beschwerde benannt hat (Urteil vom 26. Juni 1997 - BVerwG 7 C 53.96 - Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 18; Urteil vom 28. August 1997 - BVerwG 7 C 36.96 - Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 19).
a) Die Klägerin hat bereits nicht dargelegt, von welchem abstrakten, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in der Entscheidung vom 26. Juni 1997 das Verwaltungsgericht abgewichen sein soll. Sie entnimmt diesem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts die Aussagen, eine allein am Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG orientierte Auslegung werde dem Gesetzeszweck nicht gerecht; vielmehr sei ein großzügiges Normverständnis geboten, das der Systematik des Vermögensgesetzes gerecht werde. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Aussagen nicht generell getroffen. Es hat nur die Frage entschieden, ob der Anspruch aus § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG nur dann besteht, wenn Gegenstand der Schädigung nach § 1 Abs. 6 VermG das Unternehmen als solches war, oder ob der Anspruch nach dieser Norm auch dann gegeben ist, wenn ausschließlich die Beteiligung an einem Unternehmen Gegenstand der Schädigung war. Für die Beantwortung dieser Frage hat das Bundesverwaltungsgericht weniger auf den insoweit als missglückt empfundenen Wortlaut der Vorschrift, sondern vielmehr auf den Gesetzeszweck abgestellt. Damit vereinbar ist es ohne weiteres, wenn das Verwaltungsgericht für die Beantwortung einer ganz anderen Frage maßgeblich auf den Wortlaut der Norm abhebt und insoweit für eine ergänzende Auslegung keinen Raum sieht.
b) Auch im Urteil vom 28. August 1997 beziehen sich die von der Klägerin hervorgehobenen Aussagen des Bundesverwaltungsgerichts auf die Entscheidung der konkreten Frage, ob der Berechtigte nach § 3 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2 VermG die Einräumung von (anteiligem) Bruchteilseigentum nur an "weggeschwommenen" Vermögenswerten oder an sämtlichen Vermögensgegenständen verlangen kann, die zum Zeitpunkt der Anteilsentziehung zum Unternehmen gehörten oder später von diesem angeschafft worden sind, wenn die (unmittelbare oder mittelbare) Beteiligung an einem Unternehmensträger im Sinne von § 1 Abs. 6 VermG geschädigt worden ist. Eine Beschränkung des Anspruchs nur auf die "weggeschwommenen" Grundstücke lag nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts zwar vom Wortlaut der Vorschrift nahe, war aber unvereinbar mit dem angestrebten Ziel, die Ansprüche der Verfolgten des Nationalsozialismus an das alliierte Rückerstattungsrecht anzupassen. Dieser Aussage widerspricht das Verwaltungsgericht nicht, wenn es für die hier zu beantwortende Frage eine Auslegung der Vorschrift über den Wortlaut hinaus nicht für möglich hält.
c) Ohne Erfolg bleibt die Grundsatzrüge, welche die Klägerin ergänzend zu ihrer Divergenzrüge erhebt. Die Klägerin möchte geklärt wissen,
in welchem Umfang die Normen des § 3 Abs. 1 Sätze 4 ff. VermG abschließend sind oder ob sie einer ergänzenden Auslegung zugänglich sind.
In dieser Allgemeinheit ist die Frage nicht klärungsfähig. Der Sache wendet sich die Klägerin mit ihrer Divergenzrüge und damit auch mit ihrer weiteren Grundsatzrüge gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG biete keine Grundlage für einen allgemeinen Surrogatanspruch, also für einen Anspruch auf Rückübertragung solcher Vermögenswerte, die ein Dritter nach der Schädigung mit Mitteln des Geschädigten angeschafft hat. Wird die aufgeworfene Frage hierauf verengt, ist sie nicht klärungsbedürftig. Es liegt auf der Hand, dass weder der Wortlaut noch der Zweck der Vorschrift ihre erweiternde Auslegung im Sinne eines umfassenden Surrogatanspruchs zulassen. Der Rückübertragungsanspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG ergänzt eine Unternehmensrestitution oder tritt an ihre Stelle, wenn eine Beteiligung an dem Unternehmen entzogen worden ist, aber nicht zurückübertragen werden kann, weil das Unternehmen untergegangen oder nach § 6 Abs. 1a VermG nicht wieder aufgelebt ist. § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG ermöglicht im Wege der Einzelrestitution, anteiliges Bruchteilseigentum an sämtlichen Gegenständen einzuräumen, die im Zeitpunkt der verfolgungsbedingten Schädigung zu dem Unternehmen gehörten oder von ihm später angeschafft wurden. Die Erweiterung der Restitution auf Gegenstände, die nach der Schädigung angeschafft wurden, erklärt sich dabei durch den engen Bezug zur Unternehmensrestitution. Ist weder ein Unternehmen als solches geschädigt noch eine Beteiligung an ihm entzogen, ist der Anwendungsbereich der Norm nicht eröffnet.
3. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf dem gerügten Verfahrensfehler einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Klägerin wirft dem Verwaltungsgericht vor, es hätte prüfen müssen, ob in der Rückerstattung von Vermögenswerten an die Gewerkschaften eine bereits erfolgte Unternehmensrückgabe im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG gesehen werden könne. Diese Frage stellte sich indes ausgehend von der maßgeblichen materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht. Die Klägerin geht bei ihrer Rüge von ihrer Auffassung aus, das Vermögen aller aufgelösten Gewerkschaften, jedenfalls soweit es ehemals wohnungswirtschaftlichen Zwecken gewidmet war, sei ungeachtet seiner Zuordnung zu verschiedenen Gewerkschaften für die Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG als entzogenes Unternehmen anzusehen. Nur von dieser, vom Verwaltungsgericht aber nicht geteilten Auffassung aus konnte sich allenfalls die Frage stellen, ob mit der Rückgabe einzelner Vermögenswerte an die Gewerkschaften aufgrund der alliierten Rückerstattungsgesetze das entzogene Unternehmen im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG bereits zurückgegeben war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GKG.