Beschluss vom 05.08.2004 -
BVerwG 7 B 45.04ECLI:DE:BVerwG:2004:050804B7B45.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 05.08.2004 - 7 B 45.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:050804B7B45.04.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 45.04

  • VG Dresden - 30.09.2003 - AZ: VG 11 K 1468/99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. August 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht H e r b e r t und K r a u ß
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 30. September 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird unter Änderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht und das Beschwerdeverfahren auf jeweils 640 € festgesetzt.

Die Kläger beanspruchen als Erben ihrer Mutter Elisabeth L. die Feststellung ihrer ausschließlichen Berechtigung an 50 v.H. der Geschäftsanteile, die ihrem Vater Hermann L. an der aus ihm und Frau Margarethe R. bestehenden Eduard R. GmbH zugestanden hatten. Im Streit steht die Frage, ob die Geschäftsanteile ihres Vaters auf der Grundlage dessen notariell beurkundeten Angebots vom 8. November 1943 wirksam auf ihre Mutter, die das Angebot durch notariell beurkundete Erklärung vom 12. September 1944 angenommen hatte, übertragen wurden. Das Sächsische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen stellte mit Bescheid vom 29. März 1999 die Berechtigung der aus den Klägern und den Beigeladenen zu 1 bis 4 bestehenden Erbengemeinschaft nach Hermann L. in Bezug auf die Geschäftsanteile fest und erkannte ihnen wegen der Schädigung der Eduard R. GmbH dem Grunde nach eine anteilige Entschädigung zu. Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung der Berechtigung der Kläger in Erbengemeinschaft nach ihrer Mutter anstelle derjenigen der Erbengemeinschaft nach ihrem Vater abgewiesen, weil die Übertragung der Geschäftsanteile auf Elisabeth L. mangels Genehmigung der Gesellschafterversammlung nicht wirksam geworden sei. Die Revision gegen sein Urteil hat das Verwaltungsgericht nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Kläger hat keinen Erfolg. Die Revision ist nicht wegen der allein geltend gemachten Verfahrensfehler zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Soweit die Beschwerde beanstandet, dass nach Aufruf der Sache in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht der wesentliche Inhalt der Akten nicht vorgetragen worden sei, liegt zwar ein Verfahrensfehler vor. Der Vortrag des wesentlichen Inhalts der Akten ist in § 103 Abs. 2 VwGO nicht nur zur Information der Verfahrensbeteiligten, sondern auch zur Unterrichtung der mitwirkenden Richter, insbesondere der ehrenamtlichen, vorgeschrieben, damit diese sich ihre Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens bilden können (Beschluss vom 18. April 1983 - BVerwG 9 B 2337.80 - Buchholz 310 § 103 VwGO Nr. 5). Der Verfahrensfehler kann aber nicht mehr gerügt werden, weil die Beteiligten auf den Vortrag des Sachberichts verzichtet haben (§ 173 VwGO i.V.m. § 295 ZPO). Der Verzicht der Beteiligten auf den Vortrag des wesentlichen Inhalts der Akten ist im Verhandlungsprotokoll vermerkt. Das Protokoll hat Beweiskraft für die Abgabe der Verzichtserklärung (§ 105 VwGO i.V.m. § 165 ZPO). Der hiergegen allein zulässige Nachweis der Fälschung setzt den Beweis der wissentlich falschen Beurkundung oder der nachträglichen Verfälschung voraus. Diesen Nachweis hat die Beschwerde nicht geführt. Durch das Unterbleiben des Sachberichts wurde den Klägern auch nicht das rechtliche Gehör versagt. Mit seinem Verzicht hat sich der in der mündlichen Verhandlung erschienene Kläger zu 1 seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs durch Vortrag des Sachberichts begeben. Wer auf den Vortrag des Sachberichts verzichtet, ist durch dessen Unterbleiben nicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Da der Kläger zu 1 in Vollmacht des Klägers zu 2 gehandelt hat, ist diesem das Handeln seines Bevollmächtigten zuzurechnen (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Unbegründet ist auch der sinngemäß gerügte Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO). Die Beschwerde sieht diesen Verfahrensfehler, soweit sie ihn dem Erfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend bezeichnet, darin, dass es das Verwaltungsgericht für ausgeschlossen gehalten hat, in der Zeit seit der Verhaftung des Vaters der Kläger am 1. September 1944 bis zu seiner Entlassung aus dem Zuchthaus 1945 könnte es zu der für die wirksame Übertragung der Geschäftsanteile erforderlichen Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung gekommen sein. Das Verwaltungsgericht habe hierbei nicht berücksichtigt, dass in der notariellen Annahmeerklärung der Mutter der Kläger vom 12. September 1944 formuliert sei, "die Genehmigung der Gesellschaft wird beigebracht werden", worin ein entscheidungserhebliches Indiz für das Vorliegen einer Genehmigung zu sehen sei. Mit diesem Vorbringen übersieht die Beschwerde, dass das Verwaltungsgericht die Folgerungen der Kläger aus der Erklärung der Mutter sowie aus den Umständen, die zu ihrer Abgabe geführt haben, als "für sich genommen nachvollziehbar", aber für die Überzeugung des Gerichts von der Existenz des Gesellschafterbeschlusses nicht ausreichend gewürdigt hat. Angesichts dessen ist der Vorwurf haltlos, das Verwaltungsgericht sei insoweit von einem unzutreffenden und aktenwidrigen Sachverhalt ausgegangen. Ähnliches gilt für die angeblich unterlassene Beachtung des Gesellschafterwechsels bei der AWOG GmbH, bei der der Vater der Kläger gleichfalls - "nach vorher eingeholter Zustimmung der beiden Mitgesellschafter zur Genehmigung" - vor seiner Verhaftung ein notarielles Übertragungsangebot abgegeben habe, das seine Ehefrau nach seiner Verhaftung angenommen habe. Abgesehen davon, dass aus den hierfür in Bezug genommenen Unterlagen eine vorherige Zustimmung der Mitgesellschafter nicht ersichtlich ist, würde eine solche Vorgehensweise bei der AWOG GmbH nicht zur Folge haben, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, im Fall der Eduard R. GmbH sei es zu einer Genehmigung des Gesellschafterwechsels nicht gekommen, verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist.
Das angegriffene Urteil leidet auch nicht an dem behaupteten Verstoß gegen die Denkgesetze. Von einem Verstoß gegen die Denkgesetze kann nur gesprochen werden, wenn das Gericht einen Schluss gezogen hat, der schlechterdings nicht gezogen werden kann, nicht dagegen schon dann, wenn eine Schlussfolgerung nicht zwingend oder nicht überzeugend oder sogar unwahrscheinlich sein sollte (Beschluss vom 8. Juli 1988 - BVerwG 4 B 100.88 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 34). In diesem Sinne denkfehlerhaft sind die von der Beschwerde beanstandeten Annahmen des Verwaltungsgerichts nicht. Es ist nicht schlechterdings ausgeschlossen, dass ein notarielles Übertragungsangebot eines Gesellschafters an einen Dritten entgegen üblicher Praxis im Einzelfall nicht vorab mit den Mitgesellschaftern besprochen und nicht vorab von diesen genehmigt wurde. Das gilt auch dann, wenn mit dem Übertragungsangebot einer möglichen Enteignung vorgebeugt werden sollte. Ebenso wenig denkfehlerhaft ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Anmeldung vermögensrechtlicher Ansprüche an zahlreichen Unternehmen, an denen nach den Angaben im Anmeldeschreiben sowohl der Vater als auch die Mutter der Kläger beteiligt waren, dahin gewürdigt werden kann, die vermögensrechtlichen Ansprüche sollten für die jeweiligen Gesellschafter oder deren Rechtsnachfolger angemeldet werden, und zwar auch dann, wenn in Bezug auf eines von mehreren Unternehmen die Gesellschafter im Anmeldeschreiben unzutreffend bezeichnet wurden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG i.d.F. der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1975 (BGBl I S. 3047), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 5 des Gesetzes vom 12. März 2004 (BGBl I S. 390), i.V.m. § 72 Nr. 1 GKG i.d.F. vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718). Der Sach- und Streitstand, insbesondere das unwidersprochen gebliebene Vorbringen des Klägers zu 1 im Schriftsatz vom 10. September 2003 an das Verwaltungsgericht, bietet genügende Anhaltspunkte dafür, den Streitwert nach der sich aus dem Antrag der Kläger für sie ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Für einen Rückgriff auf den Auffangwert gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG ist infolgedessen kein Raum.