Beschluss vom 05.03.2003 -
BVerwG 2 B 33.02ECLI:DE:BVerwG:2003:050303B2B33.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 05.03.2003 - 2 B 33.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:050303B2B33.02.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 33.02

  • Bayerischer VGH München - 22.07.2002 - AZ: VGH 3 B 95.3051

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. März 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. S i l b e r k u h l und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Prof. D a w i n und Dr. B a y e r
beschlossen:

  1. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Juli 2002 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 6 345,79 € (entspricht 12 411,28 DM) festgesetzt (§ 13 Abs. 2 GKG).

Die auf Verfahrensmängel, Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, gestützte Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem vom Kläger gerügten Verfahrensfehler, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt ist. Das Berufungsgericht hat ein vom Kläger vorgetragenes, für den Ausgang des Rechtsstreits bedeutsames rechtliches Argument nicht in Erwägung gezogen.
Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO gewährleisten jedem Beteiligten, dass er sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage äußern kann (stRspr, vgl. u.a. BVerfGE 86, 133 <144> m.w.N. und BVerfG, Beschluss vom 13. Oktober 1994 - 2 BvR 126.94 - DVBl 1995, 34), und dass das Gericht seine Darlegungen zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht. Allerdings stellt das "Erwägen" des Vorgetragenen durch das Gericht einen gedanklichen und damit inneren und nicht nach außen tretenden Vorgang dar. Ob er stattgefunden hat, lässt sich zwar häufig aus den schriftlichen Gründen der Entscheidung ersehen. Ist das nicht der Fall, kann daraus aber nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass das Gericht das Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht den Parteivortrag zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (BVerfGE 86, 133 <146>; BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 1991 - BVerwG 2 B 104.91 – <n.v.>). Das Gericht ist nicht verpflichtet, sich mit jeglichem Parteivorbringen in den schriftlichen Gründen seiner Entscheidung zu befassen. Nur wenn weitere Umstände hinzutreten, besteht Anlass für die Annahme, das Gericht habe dieses Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen. Bei Parteivorbringen rechtlicher Art, mit dem sich die schriftlichen Entscheidungsgründe nicht befassen, liegt ein derartiger besonderer Umstand darin, dass die rechtlichen Erwägungen des unterliegenden Beteiligten von zentraler, streitentscheidender Bedeutung sind.
Dies trifft für die Argumentation des Klägers im Schriftsatz vom 17. Dezember 2001 zu. Der Kläger hat dort dem Berufungsgericht vorgetragen, seine sich an den Bildungslehrgang anschließende militärische Dienstzeit, die vom 23. Dezember 1989 bis zum 10. Juni 1991, also 17 Monate und 19 Tage gedauert habe, sei mehr als dreimal so lang wie der dritte Abschnitt des Bildungslehrgangs vom 1. Juli bis zum 22. Dezember 1989, der nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs Fachausbildung nach § 49 Abs. 4 Satz 1 SG ist. Mit diesem Vorbringen hat der Kläger zu erkennen gegeben, dass er an seinem - bereits in der Klageschrift enthaltenen - Argument ungeachtet der in der Klageerwiderung geäußerten Rechtsauffassung der Beklagten, wonach Dienstzeit im Sinne des § 46 Abs. 3 Halbsatz 2 SG nicht die Zeit einer Offiziersausbildung sei, festhält. Damit war der im erstinstanzlichen Urteil nicht erörterte Einwand des Klägers nach wie vor "im Streit". Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs war er von zentraler Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits. Handelt es sich bei der im Dienst der Beklagten verbrachten Zeitspanne 23. Dezember 1989 bis 10. Juni 1991 um Dienstzeit im Sinne des § 46 Abs. 3 SG, hätte der Verwaltungsgerichtshof die Berufung der Beklagten in vollem Umfang zurückweisen müssen. Er hätte deshalb, wenn er dem Argument des Klägers nicht folgen wollte, aus Gründen des rechtlichen Gehörs in den schriftlichen Entscheidungsgründen darauf eingehen müssen.
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch, die Berufungsentscheidung wegen des Verfahrensverstoßes aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.