Beschluss vom 04.04.2008 -
BVerwG 8 B 115.07ECLI:DE:BVerwG:2008:040408B8B115.07.0

Beschluss

BVerwG 8 B 115.07

  • VG Dresden - 23.05.2007 - AZ: VG 4 K 287/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. April 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Postier
beschlossen:

  1. Das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 23. Mai 2007 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 220 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf Zulassung der Revision gerichtete und auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat Erfolg.

2 1. Das angefochtene Urteil beruht auf einem der von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

3 a) Zunächst allerdings liegt kein erheblicher Mangel darin, dass das Verwaltungsgericht zur Ermittlung des Verkehrswertes des zurückbegehrten Grundstücks kein Sachverständigengutachten für das konkrete Grundstück eingeholt, sondern sich mit einem Vergleichsgutachten begnügt hat (vgl. dazu Beschluss vom 10. Mai 2006 - BVerwG 7 B 20.06 - juris). Ob diese Verfahrensweise für die Bildung der richterlichen Überzeugung entgegen der Auffassung der Klägerin ausreichend war, kann dahinstehen. Das Verwaltungsgericht hat den Maßstab für die Angemessenheit des Kaufpreises einem weiteren, davon zu trennenden Gesichtspunkt entnommen, in dem es selbstständig tragend auf den Einheitswert des Grundstücks abgehoben hat (UA S. 21). Nach der materiell-rechtlichen Sicht des Verwaltungsgerichts - die zutreffend ist (vgl. Beschluss vom 18. Juni 1998 - BVerwG 8 B 56.98 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 154 m.w.N.) - hat im vorliegenden Fall der zum 1. Januar 1935 festgestellte Einheitswert ein besonders starkes Indiz für die Angemessenheit des Kaufpreises gebildet. Gegen den sich aus den Verwaltungsvorgängen ergebenden Einheitswert hat die Klägerin keine Bedenken erhoben.

4 b) Soweit sie - mehr beiläufig - bestreitet, dass eine freie Verfügbarkeit über den Kaufpreis bestanden hatte, legt sie - darauf bezogen - nicht ausreichend einen Aufklärungsmangel oder sonstigen Verfahrensfehler dar.

5 c) Jedoch sind dem Verwaltungsgericht bei der Zuordnung von Sachverhaltselementen zu den Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 2 Halbs. 1 REAO („andere Tatsachen“) erhebliche Verfahrensfehler unterlaufen. Die Ablehnung der Vernehmung zweier Zeugen war nicht gerechtfertigt. Keiner der Gründe hat vorgelegen, die sich aus der ergänzend heranzuziehenden Regelung in § 244 Abs. 3 StPO ergeben. Nur für die dort für statthaft gehaltene Wahrunterstellung ist im Verwaltungsprozess kein Raum (Urteil vom 24. März 1987 - BVerwG 9 C 47.85 - BVerwGE 77, 150, 156 = Buchholz 402.25 § 2 AsylVfG Nr. 6).

6 Der Beschwerdebegründung und dem damit korrespondierenden Schriftsatz der Klägerin vom 9. Mai 2007 können Tatsachen entnommen werden, die dafür sprechen könnten, dass ohne den Druck aus rassischen Gründen auf das Bankhaus der Brauerei diese ihre Weide für die Brauereipferde nicht im Jahre 1934 hätte parzellieren und das streitbefangene Grundstück verkaufen müssen. Die dazu benannten Beweismittel hat das Verwaltungsgericht zu Unrecht als Zeugen vom Hörensagen oder als mögliche Zeugen vom Hörensagen abgelehnt. Sowohl Dr. E. als auch Hansgeorg Ernst M. haben in ihren eidesstattlichen Versicherungen der Sache nach bekundet, dass die Reichsbank und die Deutsche Bank spätestens seit August 1933 das Bankhaus derart unter wirtschaftlichen Zwang gesetzt hatten, dass es zu Liquiditätsengpässen gekommen sei, die es erforderlich gemacht hätten, Anlagevermögen der Brauerei zu verkaufen.

7 Der Zeuge vom Hörensagen ist kein von vornherein untaugliches Beweismittel. Spricht das Gericht der behaupteten Wahrnehmung eines Zeugen vom Hörensagen unbesehen jeden Beweiswert ab, liegt darin eine unzulässige Vorwegnahme der Würdigung des Beweisergebnisses (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 5. März 2002 - BVerwG 1 B 194.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 320 und vom 22. August 2003 - BVerwG 7 B 28.03 - juris). Der Beweiswert einer Zeugenaussage vom Hörensagen wird zwar geringer sein als der eines Zeugen, der aus eigener Kenntnis zur Beweisfrage aussagen kann. Zu berücksichtigen ist aber, dass „andere Tatsachen“, die gemäß § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 Halbs. 1 REAO für eine ungerechtfertigte Entziehung des fraglichen Vermögensgegenstandes nur zu sprechen brauchen, bereits dann vorliegen, wenn der Berechtigte darlegt, dass die Verfolgungsbedingtheit des Vermögensverlustes überwiegend wahrscheinlich ist (Urteil vom 16. Dezember 1998 - BVerwG 8 C 14.98 - BVerwGE 108, 157, 168 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 167). Das Anforderungsprofil an die richterliche Überzeugungsbildung ist folglich insgesamt geringer als gegenüber Tatsachen, die zu beweisen sind.

8 3. Auf die für rechtsgrundsätzlich gehaltene Frage,
ob ein Gericht einen Beweisantrag gemäß § 87b VwGO zurückweisen darf, wenn die Klage über neun Jahre anhängig ist und der Rechtsstreit in dieser Zeit inhaltlich fast gar nicht bearbeitet wurde,
käme es in einem Revisionsverfahren nicht an, weil es auf die Präklusion für die Sachentscheidung nicht ankam. Im Übrigen ist eindeutig, dass durch die Dauer der Gerichtsverfahren, auf die nach der Geschäftslage die Kammern der Verwaltungsgerichte kaum Einfluss haben, nicht die Vorschrift von § 87b VwGO außer kraft gesetzt wird.

9 4. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit der Aufhebung der Entscheidung und der Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht (§ 133 Abs. 6 VwGO) Gebrauch.

10 Die Streitwertentscheidung folgt aus §§ 47, 52 GKG.