Beschluss vom 02.09.2010 -
BVerwG 6 B 23.10ECLI:DE:BVerwG:2010:020910B6B23.10.0

Beschluss

BVerwG 6 B 23.10

  • Bayer. VG Augsburg - 02.02.2010 - AZ: VG Au 1 K 09.1693

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. September 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Graulich und Dr. Möller
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 2. Februar 2010 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die Divergenzrüge (1.) und die Verfahrensrüge (2.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO - hier in Verbindung mit § 34 Satz 1 und 2 WPflG, § 135 Satz 3 VwGO - eröffnende Divergenz liegt nur dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung einen inhaltlich bestimmten, sie tragenden abstrakten Rechtssatz enthält, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen in der Vorschrift genannten Gerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Eine Abweichung in diesem Sinne ist in der Beschwerdebegründung darzulegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von höchstrichterlich aufgestellten Rechtssätzen genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO <n.F.> Nr. 26 S. 14). Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt hiernach nicht die Revisionszulassung.

3 a) Der Kläger macht geltend, das verwaltungsgerichtliche Urteil weiche von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Oktober 1988 - BVerwG 8 C 3.87 - (UA S. 5) ab, wonach bei der Prüfung der für die Beurteilung der Wehrdienstfähigkeit maßgebenden Frage, ob der Wehrpflichtige für den Wehrdienst körperlich und geistig geeignet ist, neben den Tauglichkeitsbestimmungen der ZDv 46/1 die für die Grundausbildung unverzichtbaren Anforderungen zu berücksichtigen sind, die das Bundesministerium der Verteidigung in dem sog. Tätigkeitskatalog umschrieben hat. Das Verwaltungsgericht verhalte sich zu den in dem Tätigkeitskatalog umschriebenen Anforderungen mit keinem Wort. Hätte das Gericht eine entsprechende Überprüfung vorgenommen, hätten sich Zweifel in Bezug auf seine, des Klägers, Fähigkeit zur Teilnahme an der Truppenverpflegung ergeben. So sei es ihm nicht ohne Weiteres möglich, den Verzehr von Nüssen zu vermeiden, die sich in Spuren in vielen Speisen fänden, die auch Bestandteil der Truppenversorgung seien.

4 Aus diesem Vortrag ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht zur Begründung seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt hätte, der von den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. neben der von dem Kläger zitierten Entscheidung etwa: Urteil vom 25. Januar 1985 - BVerwG 8 C 10 und 11.83 - Buchholz 448.0 § 8a WPflG Nr. 38 S. 8, Beschlüsse vom 14. Oktober 1994 - BVerwG 8 B 108.94 - Buchholz 448.0 § 8a WPflG Nr. 55, vom 23. April 1997 - BVerwG 8 B 41.97 - Buchholz 448.0 § 8a WPflG Nr. 61 und vom 5. Juli 2000 - BVerwG 6 B 18.00 - Buchholz 448.0 § 8a WPflG Nr. 66 S. 3) anerkannten Grundsätzen über die Bedeutung des von dem Bundesministerium der Verteidigung aufgestellten sog. Tätigkeitskatalogs für die Prüfung der Wehrdienstfähigkeit im Sinne des § 8a WPflG abwiche. Vielmehr wendet sich der Kläger gegen die Tatsachenwürdigung und die Rechtsanwendung durch die Vorinstanz in dem entschiedenen Einzelfall und verfehlt so bereits das Erfordernis zur Darlegung einer Divergenz.

5 Eine solche ist unabhängig hiervon auch in der Sache nicht gegeben, denn das Verwaltungsgericht hat bei seiner Beurteilung der Wehrdienstfähigkeit des Klägers den sog. Tätigkeitskatalog durchaus vor Augen gehabt. Dies ergibt sich daraus, dass das Gericht in den Gründen seines Urteils (UA S. 6) ausführt, die in der mündlichen Verhandlung anwesende Ärztin der Wehrbereichsverwaltung Süd - Frau Medizinaloberrätin Dr. D.-Köck - habe sich „erneut“ mit dem Vorbringen des Klägers auseinander gesetzt. Die hierdurch implizit in Bezug genommene erste - schriftliche - Auseinandersetzung der genannten Ärztin mit den von dem Kläger geltend gemachten Beschwerden ist ihre im Widerspruchsverfahren abgegebene Stellungnahme vom 14. Oktober 2009, in der es heißt, der Kläger sei in der Lage, die Anforderungen aller Tätigkeitsmerkmale nach dem Tätigkeitskatalog ohne Gefahr einer Beschädigung und ohne unzumutbare Beschwerden zu erfüllen.

6 b) Der Kläger beruft sich ferner auf eine Abweichung des angefochtenen Urteils von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. April 1997 - BVerwG 8 C 45.95 - (juris Rn. 12) und den dort hervorgehobenen Maßgaben, dass Wehrpflichtige grundsätzlich während des gesamten Grundwehrdienstes und zu jeder Jahreszeit einsatzfähig sein müssen, ein Absehen von diesem Erfordernis eine hinreichend eindeutige Regelung voraussetzt und die Anordnung oder gar nur Empfehlung, Wehrpflichtige, die an Atembeschwerden auf Grund einer Pollenallergie leiden, zum 1. Oktober oder 1. Januar eines Jahres einzuberufen, diesen Anforderungen nicht genügt. Das Verwaltungsgericht habe demgegenüber darauf abgestellt, den geltend gemachten Beschwerden sei dadurch Rechnung getragen worden, dass in der Stellungnahme des medizinischen Dienstes eine Einberufung zum Grundwehrdienst in den Wintermonaten empfohlen worden sei.

7 Auch dieser Vortrag verhilft der Divergenzrüge nicht zum Erfolg. Der Kläger hat die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, auf die er seine Rüge stützt, aus dem Zusammenhang herausgelöst, in den sie ihrem Sinn nach gehören. Das Verwaltungsgericht hat zunächst festgestellt (UA S. 7), dass die in der Stellungnahme der Abteilung Dermatologie und Venerologie des Bundeswehrkrankenhauses U. vom 17. September 2009 vergebene Gradation III der Gesundheitsziffer 45 nicht zu beanstanden sei. Der daraus gezogenen Schlussfolgerung der Wehrbehörden, der Kläger sei mit Einschränkungen für bestimmte Tätigkeiten wehrdienstfähig, setze dieser nur seine Befürchtung entgegen, es könne bei Feldübungen zu allergischen Reaktionen und entsprechenden Kreuzreaktionen kommen. Es sei weder substantiiert vorgetragen noch aus den vorgelegten Attesten ersichtlich, dass die allergischen Reaktionen in akuten Fällen nicht medikamentös behandelbar seien. Erst nach dieser Feststellung der gegebenen Wehrdienstfähigkeit verweist das Verwaltungsgericht auf die - in dem ausgestellten Verwendungsausweis vom 11. Mai/24. September 2009 enthaltene - Empfehlung einer Einberufung in den Wintermonaten. Dieser Hinwies steht nicht in Widerspruch zu dem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannten und im konkreten Fall vorab geprüften Erfordernis der ganzjährigen Einsatzfähigkeit von Grundwehrdienstleistenden, sondern betrifft eine aus Gründen der Fürsorge ergriffene Vorsichtsmaßnahme, die in den Anmerkungen zur Fehlernummer 45 der ZDv 46/1 vorgesehen und in jedem Fall erlaubt, wenn nicht sogar geboten ist (vgl. in diesem Sinn auch: Steinlechner/Walz, WPflG, 7. Aufl. 2009, § 8a Rn. 20).

8 2. Die Revision ist auch nicht deshalb zuzulassen, weil gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO - wiederum in Verbindung mit § 34 Satz 1 und 2 WPflG, § 135 Satz 3 VwGO - ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich weder eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO (a)) noch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO (b)).

9 a) Der Kläger bringt zu der erhobenen Aufklärungsrüge zunächst vor, das Verwaltungsgericht habe sich für die Beurteilung der von ihm vorgetragenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht auf die Ausführungen von Frau Medizinaloberrätin Dr. D.-Köck in der mündlichen Verhandlung stützen dürfen. Wenn es die Bekräftigung von medizinischen Einschätzungen im Verhandlungstermin für entscheidungserheblich gehalten habe, hätte es sachverständige Auskünfte einholen oder die bisher tätigen Ärzte als Zeugen vernehmen müssen.

10 Die derart begründete Rüge kann keinen Erfolg haben, denn die von dem Kläger geforderte Aufklärung bzw. Beweiserhebung musste sich dem Verwaltungsgericht nicht aufdrängen. Nach den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Feststellung der Wehrdienstfähigkeit anerkannten Grundsätzen (Urteil vom 12. April 1991 - BVerwG 8 C 45.90 - Buchholz 448.0 § 8a WPflG Nr. 53 S. 28 f. <insoweit in BVerwGE 88, 117 ff. nicht abgedruckt>, Beschlüsse vom 14. November 2000 - BVerwG 6 B 53.00 - Buchholz 448.0 § 8a WPflG Nr. 67 S. 4 f., vom 3. Juni 2002 - BVerwG 6 B 6.02 - Buchholz 448.0 § 8a WPflG Nr. 68 S. 6 f. und vom 23. September 2003 - BVerwG 6 B 27.03 - Buchholz 448.0 § 8a WPflG Nr. 71 S. 15 f.) sind dann, wenn ein Verwaltungsgericht - wie hier - auf die Tauglichkeitsbestimmungen der ZDv 46/1 zurückgreift, zunächst Feststellungen über die Art und Schwere des Körperfehlers oder Leidens des Wehrpflichtigen erforderlich. Deren Zuordnung zu den Fehlernummern und Gradationen der ZDv 46/1 ist ebenfalls nicht ohne besondere medizinische Sachkunde möglich, wenn in dem konkreten Fall auf Grund des Inhalts der vorhandenen ärztlichen Atteste und Stellungnahmen sowie der medizinischen Erfahrungssätze der ZDv 46/1 Anlass zu Abgrenzungszweifeln besteht, die ohne fachkundige Erläuterung nicht ausgeräumt werden können. So verhält es sich namentlich, wenn die ZDv 46/1 selbst zur Ermittlung der zutreffenden Gradation eine zusätzliche gebietsärztliche Untersuchung des Wehrpflichtigen empfiehlt oder sogar anordnet. In solchen Fällen muss das Verwaltungsgericht in Ermangelung der erforderlichen eigenen besonderen Sachkunde nach § 86 Abs. 1 VwGO gerichtlichen Sachverständigenbeweis erheben.

11 Nach diesen Maßstäben war das Verwaltungsgericht nicht zur Beweiserhebung verpflichtet. Dabei kommt dem Umstand, dass das Verwaltungsgericht die Ärztin der Wehrbereichsverwaltung Süd - Frau Medizinaloberrätin Dr. D.-Köck - in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört hat, keine Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr zunächst die von dem Verwaltungsgericht getroffene und von dem Kläger nicht mit Verfahrensrügen angegriffene Feststellung, dass sämtliche von dem Kläger im Verwaltungsverfahren vorgelegten ärztlichen Atteste der von der Beklagten im Widerspruchsverfahren veranlassten Begutachtung des Klägers durch die Abteilungen für Unfallchirurgie und Orthopädie sowie Dermatologie und Venerologie des Bundeswehrkrankenhauses U., die zu den Stellungnahmen vom 28. August und 17. September 2009 führten, zu Grunde gelegen haben. Ferner ist das Verwaltungsgericht, was die Art und Schwere der gesundheitlichen Beschwerden des Klägers anbelangt, zu Recht zu der Einschätzung gelangt, dass zwischen den Stellungnahmen des Bundeswehrkrankenhauses U. und den von dem Kläger eingereichten Attesten keine wesentlichen Differenzen bestehen, so dass es insoweit keiner gerichtlichen Beweiserhebung bedurfte. Eine solche musste sich schließlich dem Verwaltungsgericht auch im Hinblick auf die Zuordnung der Beschwerden des Klägers zu den Fehlernummern und Gradationen der ZDv 46/1 - hier in Gestalt von III/42 und III/45 - nicht aufdrängen. Das Verwaltungsgericht hat diese Beschwerden nicht ohne die erforderliche Sachkunde selbst unter die ZDv 46/1 „subsumiert“, sondern überzeugend dargelegt, dass die durch das Bundeswehrkrankenhaus U. vorgenommenen Zuordnungen substantiiert und nachvollziehbar, die in den von dem Kläger beigebrachten Attesten - insbesondere in dem Attest des Orthopäden Dr. G. vom 24. März 2009 - enthaltenen Äußerungen zu den Auswirkungen der wehrdienstüblichen Belastung hingegen unsubstantiiert seien.

12 Der Kläger führt zur Begründung seiner Aufklärungsrüge weiter an, das Verwaltungsgericht habe sich darauf bezogen, einsatzmäßige oder truppenärztliche Maßnahmen würden die festgestellten gesundheitlichen Beschwerden lindern. Insofern habe es sich dem Gericht aufdrängen müssen zu überprüfen, welche wirksamen Maßnahmen überhaupt möglich seien. Insbesondere sei die Teilnahme an der Truppenverpflegung unter Vermeidung eine Allergie auslösender Lebensmittel nicht möglich.

13 Auch diese Begründung greift nicht durch. Denn das Verwaltungsgericht hat die Bejahung der Wehrdienstfähigkeit des Klägers nicht tragend auf die in Rede stehende Erwägung gestützt. Es hat sich vielmehr ersichtlich auf den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 28. November 1974 - BVerwG 8 C 99.72 - Buchholz 448.0 § 8a WPflG Nr. 13 S. 41 f.) anerkannten Grundsatz bezogen, dass im Hinblick auf den in § 8a Abs. 2 Satz 1 WPflG enthaltenen Vorbehalt des ärztlichen Urteils für die Verwendungsfähigkeit wehrdienstfähiger Wehrpflichtiger punktuelle Schwächen, die bei entsprechender spezifischer Beanspruchung zu einem punktuellen Versagen eines Wehrpflichtigen führen können, dessen Wehrdienstfähigkeit nicht berühren, da sie in der Truppe durch dem Einzelfall angepasste geeignete Maßnahmen abgefangen werden müssen.

14 b) Eine Verletzung des Grundsatzes der Gewährung rechtlichen Gehörs im Sine von Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO sieht der Kläger dadurch gegeben, dass das Verwaltungsgericht ohne vorherigen Hinweis auf eine entsprechende Absicht in seinem Urteil die Ausführungen von Frau Medizinaloberrätin Dr. D.-Köck in der mündlichen Verhandlung berücksichtigt habe. Frau Dr. D.-Köck sei ausweislich der Sitzungsniederschrift weder als Partei noch als sachverständige Zeugin oder Sachverständige vernommen worden. Aus der Sitzungsniederschrift sei nicht einmal zu entnehmen, dass es sich um eine Ärztin gehandelt habe.

15 Diese Rüge geht ins Leere, da es - worauf die Beklagte zu Recht hinweist - für den anwaltlich vertretenen Kläger klar ersichtlich sein musste, dass Frau Dr. D.-Köck, die mit dem Vertreter der Wehrbereichsverwaltung Süd erschienen war, von dem Verwaltungsgericht als Mitglied des ärztlichen Dienstes dieser Stelle informatorisch angehört wurde.

16 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.