Beschluss vom 02.03.2007 -
BVerwG 8 B 3.07ECLI:DE:BVerwG:2007:020307B8B3.07.0

Beschluss

BVerwG 8 B 3.07

  • VG Berlin - 27.09.2006 - AZ: VG 31 A 15.06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. März 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin zu 1 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. September 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin zu 1 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 33 764 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Weder weicht das Urteil von den in der Beschwerdebegründung angegebenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ab (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) noch liegt ein Verfahrensmangel vor, auf dem das Urteil beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

2 1. Die Darlegung des Revisionszulassungsgrundes der Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der bezeichneten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz, der sich auf dieselbe Rechtsvorschrift bezieht, widersprochen hat (stRspr, vgl. Beschluss vom 1. September 1997 - BVerwG 8 B 144.97 - Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 50 S. 7 <11> m.w.N.). Die Beschwerde zeigt keinen von den genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden Rechtssatz des angefochtenen Urteils auf. Vielmehr vertritt sie die Ansicht, das Verwaltungsgericht habe die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Rechtssätze nicht oder unzutreffend angewandt. Damit kann die Zulassung der Revision wegen Divergenz nicht erreicht werden.

3 Mit der Rüge, das Verwaltungsgericht habe in Abweichung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. November 2003 - BVerwG 7 C 12.03 - (Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 40) die zur Ausfüllung des Begriffs „komplexer Wohnungsbau“ erforderlichen Tatsachen nicht festgestellt, sondern es als ausreichend angesehen, dass das Grundstück nach der Schädigungsmaßnahme mit anderen Grundstücken vereinigt und flurstückübergreifend bebaut worden sei, rügt die Beschwerde eine vermeintlich unzutreffende Subsumtion des Begriffs des „gesteigerten städtebaulichen Zusammenhangs“, ohne sich widersprechende Rechtssätze darzulegen. Soweit die Beschwerde meint, mit diesen Ausführungen weiche das Verwaltungsgericht von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Januar 2001 - BVerwG 7 C 11.00 - (Buchholz 428 § 4 Abs. 1 VermG Nr. 5) ab, verkennt sie die unterschiedliche Ausgangslage der beiden Fälle.

4 In der in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts war das streitgegenständliche Grundstück selbst nicht unmittelbar zu Wohnzwecken genutzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann es deshalb nur dann in einen komplexen Wohnungsbau im Sinne von § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG einbezogen sein, wenn sich seine Nutzung funktional auf die in der Nähe errichteten Wohngebäude bezieht. In einem solchen Fall kann der notwendige funktionale Bezug nicht allein aus der flurstückübergreifenden Bebauung hergeleitet werden. Das hier streitgegenständliche Grundstück ist aber nach den von der Beschwerde nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zusammen mit weiteren Grundstücken für den Neubau eines flurstückübergreifenden Wohnblocks in Anspruch genommen worden. Eine solche flurstückübergreifende Neubebauung von Grundstücken stellt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gerade einen typischen Fall der - für den Restitutionsausschluss erforderlichen - dauerhaften Einbindung eines Grundstücks oder Gebäudes in eine komplexe planerische und städtebauliche Einheit dar, die durch eigentumsrechtliche Veränderungen an einem Grundstück potentiell gefährdet würde (vgl. Urteil vom 1. Dezember 1995 - BVerwG 7 C 27.94 - BVerwGE 100, 77 <82>; s.a. LS 3). Soweit die Beschwerde auch ein Abweichen von dieser zuletzt genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sieht, rügt sie wiederum nur eine vermeintlich fehlerhafte Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch das Verwaltungsgericht.

5 Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wird auch nicht durch die Rüge der Beschwerde dargelegt, das Verwaltungsgericht habe ignoriert, dass das Grundstück zwischenzeitlich an den Beigeladenen zu 1 und damit an eine Privatperson verkauft worden sei. Auch darin liegt allenfalls eine fehlerhafte Rechtsanwendung. Im Übrigen lag der von der Beschwerde in diesem Zusammenhang angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Juni 2002 - BVerwG 7 C 25.01 - (Buchholz 428.1 § 11 InVorG Nr. 4) wiederum ein grundsätzlich anderer Sachverhalt zugrunde. Im dortigen Fall war der komplexe Bebauungs- und Nutzungszusammenhang durch den Verkauf von Teilflächen, den teilweisen Abriss vorhandener Bebauung und die beabsichtigte Bebauung mit einem neuen Wohn- und Geschäftshaus mit Tiefgarage gelöst worden. In einem solchen Fall führt der diesem Wegfall der Verwendung im komplexen Wohnungsbau dienende Zweck des Verkaufs zum Ausschluss des § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG. Ist aber - wie hier - der gesamte komplexe Wohnungsbau an eine Privatperson verkauft worden, so kann die Wohnungsgenossenschaft damit ihrer sich aus Art. 22 Abs. 4 Satz 4 des Einigungsvertrages - EV - ergebenden Aufgabe, ihren Wohnungsbestand unter Berücksichtigung sozialer Belange schrittweise in eine marktwirtschaftliche Ordnung zu überführen, nachkommen (vgl. dazu im Einzelnen Urteil vom 13. November 2003 - BVerwG 7 C 12.03 - a.a.O. S. 65 f.). In diesem Fall darf der Verkauf von Mietwohnhäusern durch die bisherigen Eigentümer nicht als Aufgabe der durch § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG geschützten Zweckbestimmung der Grundstücke verstanden werden. Deshalb wird auch der Restitutionsausschluss durch diesen Verkauf nicht berührt.

6 2. Es liegt auch kein Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor.

7 Soweit die Beschwerde rügt, der Klägerin sei rechtliches Gehör gemäß § 138 Nr. 3 VwGO versagt worden, weil sich das Verwaltungsgericht nicht mit ihrem Vortrag im Schriftsatz vom 20. Juni 2006 (gemeint wohl: 20. Juli 2006) auseinandergesetzt habe, verkennt sie, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör das Gericht nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (BVerfGE 86, 133 <146>). Zwar verpflichtet der Anspruch auf rechtliches Gehör das Gericht dazu, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Davon kann jedoch grundsätzlich ausgegangen werden; allerdings setzt dies voraus, dass die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und -verteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen und Rechtsausführungen nicht nur im Tatbestand erwähnt, sondern in den Entscheidungsgründen auch verarbeitet werden oder dass gegebenenfalls ihre fehlende Entscheidungserheblichkeit dargelegt wird (vgl. Beschluss vom 1. September 1997 - BVerwG 8 B 144.97 - a.a.O.; Urteil vom 31. Juli 2002 - BVerwG 8 C 37.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 35 <110 f.> sowie BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Oktober 2004 - 2 BvR 779/04 - juris Rn. 20 m.w.N.). Dem ist das Verwaltungsgericht mit seinen Ausführungen auf Seite 6 oben des angefochtenen Urteils aber nachgekommen.

8 Ein Verfahrensfehler liegt auch nicht darin, dass das Verwaltungsgericht den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO abgelehnt hat. Das Gericht kann nur dann ein Verfahren nach § 94 VwGO aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits - nach der Rechtsauffassung des Gerichts - von dem Ergebnis eines anderen anhängigen Rechtsstreits abhängt. Das war hier nicht der Fall, weil das Verwaltungsgericht eine Vorgreiflichkeit des Rechtsstreits über die Aufhebung der Grundstücksverkehrsgenehmigung nur für den Fall angenommen hat, dass die begehrte Rückübertragung ausschließlich durch die bislang wirksame Veräußerung ausgeschlossen ist. Das hat es verneint, weil es den Restitutionsausschlussgrund des § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG bejaht hat.

9 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf den §§ 47, 52 GKG.