Beschluss vom 01.10.2002 -
BVerwG 9 VR 9.02ECLI:DE:BVerwG:2002:011002B9VR9.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 01.10.2002 - 9 VR 9.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:011002B9VR9.02.0]

Beschluss

BVerwG 9 VR 9.02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Oktober 2002
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
H i e n und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. S t o r o s t und Prof. Dr. R u b e l
beschlossen:

  1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom 19. März 2002 wird abgelehnt.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5 000 € festgesetzt.

I


Der Antragsteller ist Eigentümer von Appartements in dem Wohn- und Geschäftshaus Listemannstraße 18 in M. Er begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom 19. März 2002 für den Neubau der Straßenbahntrasse Listemannstraße. Mit seiner Klage macht er insbesondere geltend, die Trassenführung durch die Listemannstraße sei aufgrund der vorhabenbedingten hohen Belastung des Hauses durch Schall, Erschütterungen und Elektrosmog und im Hinblick auf eine nicht in Erwägung gezogene, sein Eigentum aber weniger belastende alternative Trassenführung abwägungsfehlerhaft.

II


Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses, das Grundlage des in § 29 Abs. 6 Satz 2 Personenbeförderungsgesetz (PersBefG) und § 5 Abs. 2 Satz 1 Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz geregelten Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage ist, überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes bis zur endgültigen Entscheidung über seine Klage. Denn bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage anhand des derzeitigen Erkenntnisstandes ergibt sich, dass die Anfechtungsklage voraussichtlich keinen Erfolg haben kann.
Der Antragsteller beschränkt sich gegenüber dem Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners auf die Rüge von Mängeln bei der nach § 28 Abs. 1 Satz 1 PersBefG gebotenen Abwägung. Solche Mängel können einen Anspruch des Antragstellers auf Aufhebung oder Feststellung der Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses nur dann begründen, wenn sie gemäß § 29 Abs. 8 Satz 1 PersBefG erheblich, also offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind und nicht durch Planergänzung behoben werden können. Bei der vom Antragsteller allein zu beanspruchenden Prüfung, ob die Planung im Hinblick auf die nachteilige Berührung gerade seiner - nicht präkludierten - eigenen Belange dem Abwägungsgebot entspricht (vgl. BVerwGE 48, 56 <66 f.>; 56, 110 <123>; 62, 342 <348>), ergeben sich solche Mängel nicht.
Der Antragsteller meint, der Planfeststellungsbeschluss leide an einem Abwägungsdefizit, weil der Antragsgegner sich nicht mit der nahe liegenden Alternative einer Trassenführung entlang oder südlich der Walter-Rathenau-Straße befasst habe. Das trifft jedoch nicht zu. Mit der vom Antragsteller geforderten Trassenvariante hat sich der Antragsgegner im Planfeststellungsbeschluss ausführlich auseinander gesetzt (Planfeststellungsbeschluss S. 34 - 36). Er hat dabei in schlüssiger und widerspruchsfreier Weise eine Reihe von Umständen benannt, die gegen die vom Antragsteller favorisierte Trassenführung sprechen.
Der Antragsteller hat diese Gesichtspunkte nur zum Teil und insoweit nicht substantiiert in Frage gestellt. Das gilt insbesondere für die von ihm lediglich als "unwahrscheinlich" bezeichnete Bebauung der Ostseite des Universitätsplatzes, die einer Trassenführung durch die Walter-Rathenau-Straße entgegenstünde, die Nähe zwischen Wohnbebauung und Haltestelle, die bei der Trassenverschiebung nach Norden ersichtlich nicht mehr gegeben wäre, sowie den geringeren Flächenverbrauch und die Erhaltung des Grüngürtels, denen nicht lediglich ein allgemeiner Vorrang der Anwohnerbelange entgegengehalten werden kann. Die vom Antragsgegner gegen die vom Antragsteller geforderte Trassenführung angeführten Gesichtspunkte zeigen aber nicht nur die Vorzugswürdigkeit der planfestgestellten Trasse auf, sondern belegen mit dem Hinweis auf die Wohnanbindung einerseits sowie die Leistungsfähigkeit der Strecke andererseits (Reisezeiten, Verkehrsabwicklung, Störfallmanagement), dass die Planungsziele, die nicht allein in einer Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Personennahverkehrs, sondern vor allem darin liegen, eine weitreichende Umgestaltung von Universitätsplatz und Walter-Rathenau-Straße zu ermöglichen, mit der vom Antragsteller geforderten Trassenführung nicht zu erreichen sind. Auf Planungsalternativen, die diese Ziele von vornherein nicht hinreichend verwirklichen können, brauchen sich Antragsgegner und Beigeladene jedoch nicht verweisen zu lassen.
Auf dieser Grundlage kann sich ein Abwägungsdefizit auch nicht daraus ergeben, dass der Antragsgegner eine Trassenführung entlang der Walter-Rathenau-Straße nicht bereits in einem früheren Planungsstadium einer näheren Prüfung unterzogen hat. Die Planungsbehörde hat nur solche Planungsalternativen einzubeziehen und im Einzelnen zu untersuchen, die ernsthaft in Betracht kommen (vgl. etwa BVerwGE 104, 144 <149>). Das ist bei der vom Antragsgegner geforderten Trasse - wie dargelegt - nicht der Fall.
Darüber hinaus macht der Antragsteller geltend, der Planfeststellungsbeschluss berücksichtige seine durch das Vorhaben betroffenen Belange nicht hinreichend. Auch insoweit sind - zumal offensichtliche - Abwägungsmängel jedoch nicht erkennbar.
Die Lärmproblematik hat der Antragsgegner zutreffend ermittelt und bewertet.
Dass es sich bei dem insoweit zugrunde liegenden Schallschutzgutachten um ein "Parteigutachten" des Antragsgegners handelt, steht seiner Berücksichtigung auch im vorliegenden gerichtlichen Verfahren nicht entgegen, weil ergebnisrelevante Mängel weder erkennbar sind noch vom Antragsteller substantiiert geltend gemacht werden.
Der vom Gutachter festgestellten Überschreitung der nach der 16. BImSchV geltenden Grenzwerte ist der Antragsgegner mit der Zuerkennung von Lärmschutz für das Gebäude Listemannstr. 18 begegnet. Das ist angesichts der vorhandenen Vorbelastung durch Verkehrslärm und der deshalb ohnehin wegen entsprechender Auflagen in der Baugenehmigung vom 26. Januar 1996 vorauszusetzenden Lärmdämmung des Gebäudes weder grundsätzlich noch im Hinblick darauf zu beanstanden, dass sich der Antragsgegner mangels - auch vom Antragsteller nicht behaupteter - Realisierbarkeit von aktivem Schallschutz für passive Schallschutzmaßnahmen einschließlich Belüftungseinrichtungen nach im Planfeststellungsbeschluss nicht weiter zu konkretisierender Maßgabe der 24. BImSchV entschieden hat. Dabei kann offen bleiben, ob der Antragsgegner bei der Prognostizierung der zukünftigen Verkehrsbelastung lediglich von einer Belegung der Strecke mit zwei Straßenbahnlinien ausgehen durfte oder auch die vorgesehene vorübergehende, aber nicht nur kurzfristige Nutzung als Umleitungsstrecke für vier weitere Straßenbahnlinien berücksichtigen musste. Denn es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass sich in diesem Fall der dem Grunde nach vorgesehene passive Lärmschutz mit Belüftungseinrichtungen als nicht ausreichend erweisen könnte oder der Antragsgegner eine andere Abwägungsentscheidung getroffen hätte.
Auch hinsichtlich der vom Antragsteller geltend gemachten Beeinträchtigung durch Elektrosmog sind Abwägungsfehler nicht zu erkennen.
Der Antragsgegner stützt seine Einschätzung, dass Beeinträchtigungen für Menschen sowie für - insoweit besonders empfindliche - PC-Monitore nicht zu erwarten sind, auf ein Gutachten der Technischen Akademie Wuppertal. Daraus ergibt sich nachvollziehbar und widerspruchsfrei, dass die von der Oberleitung der planfestgestellten Straßenbahnstrecke ausgehenden elektromagnetischen Felder den für die Einwirkung von Gleichstrom auf Menschen nach DIN V VDE V 0848 - 4/A3 festgelegten Grenzwert von 21,22 mT weit unterschreiten und in den Räumen bei normalem Betriebszustand den für einzelne PC-Monitore kritischen Grenzwert von 10 µT voraussichtlich nicht erreichen werden. Der Antragsteller stellt mit seiner Kritik, der Antragsgegner begnüge sich mit Vermutungen, diese Aussagen mangels substantiierter Einwände gegen Methode, Grenzwertfestlegung oder Ermittlung der Beeinträchtigung im Einzelnen nicht in Frage und gibt dem Senat auch mangels sonstiger Anhaltspunkte keinen Anlass zur Annahme oder Erforschung von Abwägungsmängeln.
Schließlich sind auch bei der Bewältigung der vorhabenbedingten Beeinträchtigung durch Erschütterungen und Körperschall Abwägungsfehler nicht ersichtlich.
Der Antragsgegner hat zur Abschätzung dieser Auswirkungen selbst ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben. Dieses Gutachten ist - nachvollziehbar und widerspruchsfrei - zum Ergebnis gelangt, dass durch entsprechende Maßnahmen insbesondere am Oberbau der Neubaustrecke die in der DIN 4150 empfohlenen Anhaltswerte unterschritten werden und eine unzumutbare Beeinträchtigung der Gebäude und der Wohnnutzung nicht zu befürchten ist. Der Antragsgegner hat die empfohlenen Maßnahmen als Auflagen in den Planfeststellungsbeschluss übernommen (vgl. S. 7). Für den Senat ergeben sich hieraus keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Abwägung. Der Antragsteller hat auch in diesem Zusammenhang keine über bloße Behauptungen und Vermutungen hinausgehenden substantiierten Einwände erhoben. Aus dem Fehlen gesetzlicher Grenzwerte kann entgegen der Auffassung des Antragstellers ersichtlich nicht auf den Umfang der zu erwartenden Beeinträchtigung geschlossen werden. Die grundsätzliche Eignung der vom Gutachten zugrunde gelegten DIN-Norm als Anhaltswert für die Beurteilung der fraglichen Einwirkungen hat der Senat bereits bejaht (Urteil vom 31. Januar 2001 - BVerwG 11 A 6.00 - Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 56). Dem Hinweis des Antragstellers auf Erfahrungen mit Erschütterungs- und Körperschallproblemen bei der Straßenbahnstrecke Ummendorfer Straße haben Antragsgegner und Beigeladene - nachvollziehbar und vom Antragsteller unwiderlegt - entgegengehalten, die dortige Situation sei im Hinblick auf Gebäudeabstände, Gebäudeart und geologische Situation nicht vergleichbar; insbesondere entspreche der dort vorhandene Oberbau nicht demjenigen, den der angefochtene Planfeststellungsbeschluss aufgrund des Gutachtens für die Listemannstraße vorsehe. Wenn der Antragsteller darüber hinaus geltend macht, das Gutachten gehe selbst davon aus, dass der als maßgeblich angesehene Körperschall-Beurteilungswert von 40 dB(A) beim Haus Listemannstraße 18 nicht eingehalten werden könne, übersieht er, dass sich diese Feststellung auf den Zustand ohne die im Gutachten deswegen vorgeschlagenen und im Planfeststellungsbeschluss festgelegten Abhilfemaßnahmen bezieht. Gegenüber diesem umfangreichen Maßnahmenkatalog hat der Antragsteller lediglich eingewandt, es gebe keine Sicherheit, dass die - ohnehin nur neben weiteren Maßnahmen vorgesehene - elastische Rillenschienenlagerung auch tatsächlich eingebaut werde. Dieser die - im Übrigen einklagbare - Ausführung des Planfeststellungsbeschlusses betreffende Einwand ist jedoch nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses selbst in Frage zu stellen. Weitere Anhaltspunkte dafür, dass die Beeinträchtigungen durch Erschütterungen und Körperschall fehlerhaft ermittelt worden wären oder ihnen mit den vorgesehenen Maßnahmen nur unzureichend begegnet werden könnte, sind weder dargetan noch ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 3 GKG.