Beschluss vom 01.04.2004 -
BVerwG 4 B 17.04ECLI:DE:BVerwG:2004:010404B4B17.04.0

Beschluss

BVerwG 4 B 17.04

  • OVG Berlin-Brandenburg - 10.10.2003 - AZ: OVG 2 B 3.99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. April 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. R o j a h n und G a t z
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 10. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 35 000 € festgesetzt.

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
1. Die Rechtssache besitzt nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Kläger beimisst.
Die Beschwerde wirft als rechtsgrundsätzlich bedeutsam die Frage auf, "ob die Behörde das Recht zur Durchsetzung der in einem Verwaltungsakt enthaltenen Auflage verwirken kann". Diese Rechtsfrage wäre in einem Revisionsverfahren nur entscheidungserheblich, soweit sie die mit einer Baugenehmigung verbundene Auflage betrifft, einen Kinderspielplatz anzulegen. Mit dieser Einschränkung wäre die aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, weil sie auf die Auslegung und Anwendung von irrevisiblem Landesrecht zielt.
Die Verwirkung ist ein Hauptanwendungsfall des Verbots widersprüchlichen Verhaltens. Dabei handelt es sich um einen besonderen Fall des Verstoßes gegen Treu und Glauben (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Februar 1974 - BVerwG 3 C 115.71 - BVerwGE 44, 339 <343>). Das Gebot, sich so zu verhalten, wie Treu und Glauben es verlangen, gehört im Verwaltungsrecht zu den sog. allgemeinen Grundsätzen. Solche Grundsätze gibt es - häufig im Inhalt übereinstimmend - sowohl im Verwaltungsrecht des Bundes als auch im Verwaltungsrecht der Länder. Ob im Einzelfall ein Grundsatz des Bundesrechts oder ein solcher des Landesrechts einschlägig ist, hängt von der Qualität des Rechts ab, zu dessen Ergänzung der allgemeine Grundsatz herangezogen wird. Bundesrecht wird durch bundesrechtliche allgemeine Grundsätze, Landesrecht durch entsprechende landesrechtliche Grundsätze ergänzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. April 1978 - BVerwG 4 C 6.76 - BVerwGE 55, 337 <339> m.w.N.).
Im Streitfall kommt das Verbot widersprüchlichen Verhaltens (Verwirkung) nur als Ergänzung von Landesrecht in Betracht. Denn die mit der Baugenehmigung vom 30. Oktober 1980 erteilte Auflage, einen Kinderspielplatz gemäß § 10 Abs. 3 BauO Bln 1979 auf der Hoffläche anzulegen, findet nach den Ausführungen des Berufungsgerichts seine Rechtsgrundlage in der landesrechtlichen Vorschrift des § 17 ASOG. Die Frage, ob der Beklagte die Befugnis zur Durchsetzung dieser Auflage verwirkt hat, beurteilt sich daher ebenfalls nach (irrevisiblen) Landesrecht und ist dem revisionsgerichtlichen Zugriff entzogen.
2. Die gerügte Divergenz zwischen dem angefochtenen Urteil und dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Februar 1974 - BVerwG 3 C 115.71 - (a.a.O. S. 343) liegt nicht vor.
Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben (revisiblen) Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden Rechtssatz zu einem ebensolchen Rechtssatz in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Widerspruch tritt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712). Eine derartige Divergenz zeigt die Beschwerde nicht auf. Das Berufungsgericht erörtert die Möglichkeit einer Verwirkung im Zusammenhang mit der Durchsetzung einer bauordnungs- und damit landesrechtlich begründeten Auflage. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Februar 1974 betrifft die Verwirkung des Rechts auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus § 342 Abs. 1 LAG, der Bestandteil des Bundesrechts ist. Die Entscheidung des Berufungsgerichts und die Entscheidung, auf die die Divergenzrüge gestützt wird, sind also nicht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift ergangen. Für eine Divergenzrüge ist daher schon im Ansatz kein Raum.
Im Übrigen weicht das Berufungsurteil inhaltlich nicht von den im Urteil vom 7. Februar 1974 aufgestellten (bundesrechtlichen) Grundsätzen zur Verwirkung ab. Die Entscheidung vom 7. Februar 1974 sieht die Eigenart der Verwirkung darin, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und b e s o n d e r e U m s t ä n d e h i n z u - t r e t e n , die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Von dieser Umschreibung hat sich auch das Berufungsgericht leiten lassen. Es führt aus, dass auch eine langjährige Untätigkeit der Bauaufsichtbehörde für sich betrachtet r e g e l m ä ß i g nicht die Verwirkung des Rechts zur Folge habe, die Herstellung baurechtmäßiger Zustände fordern zu können. Nach Auffassung des Berufungsgerichts müssen also besondere Umstände vorliegen, die das Verbot widersprüchlichen Verhaltens im Einzelfall begründen. Derartige Umstände liegen nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts und seiner Sachverhaltswürdigung hier nicht vor. So weist das Berufungsgericht das Vorbringen des Klägers zurück, er habe infolge des Umstandes, dass der Beklagte seinerzeit bei der Schlussabnahme des genehmigten Bauvorhabens die Nichterfüllung der Auflage nicht beanstandet und auch in den folgenden 16 Jahren nicht auf ihre Erfüllung gedrungen habe, darauf vertrauen dürfen, dass die Auflage nicht mehr durchgesetzt werde. Entgegen der Beschwerde ist die Entscheidung des Berufungsgerichts somit nicht dahin zu verstehen, "dass es die Verwirkung eines der Behörde zustehenden Rechtes, soweit ihr dieses im öffentlichen Interesse eingeräumt ist, schlechterdings für ausgeschlossen hält".
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, die Streitwertfestsetzung auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.