Verfahrensinformation



Der Kläger, ein tunesischer Staatsangehöriger, reiste erstmals 2003 zu Studienzwecken nach Deutschland ein. Nachdem er 2013 von Amts wegen nach unbekannt abgemeldet worden war, reiste er im August 2015 unter falschem Namen als angeblich syrischer Flüchtling wieder nach Deutschland ein. Aufgrund eines Auslieferungsersuchens der tunesischen Strafverfolgungsbehörden, die dem Kläger vorwarfen, als Angehöriger einer terroristischen Organisation in Tunesien an der Planung und Umsetzung von terroristischen Anschlägen (u.a. an dem Anschlag auf das Bardo-Museum in Tunis in 2015) beteiligt gewesen zu sein, erfolgte eine Festnahme des Klägers.


Im August 2017 ordnete das Hessische Ministerium des Innern und für Sport - nach vorangegangenen Ermittlungen der Sicherheitsbehörden - nach § 58a AufenthG die Abschiebung des Klägers nach Tunesien an. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger in terroristische Aktivitäten des sogenannten Islamischen Staates (IS) involviert sei. Er sei ein Rekrutierer und/oder Organisator für den IS, der Personen zu einem Terroranschlag bewegen könne. Ferner sei er aktives Mitglied des IS im Bereich einer Medien-Cybereinheit und unterstütze diese durch die Aufbereitung, Herstellung und Verbreitung unterschiedlichsten Propagandamaterials. Abschiebungsverbote seien nicht ersichtlich.


Nach Ablehnung von Anträgen auf vorläufigen Rechtsschutz durch das bei Abschiebungsanordnungen nach § 58a AufenthG in erster und letzter Instanz zuständige Bundesverwaltungsgericht (Beschlüsse vom 19. September 2017 - BVerwG 1 VR 8.17 und vom 26. März 2018 - BVerwG 1 VR 1.18) wurde der Kläger im Mai 2018 nach Tunesien abgeschoben. Mit seiner Klage begehrt er die Aufhebung der Abschiebungsanordnung. Er macht u.a. geltend, er habe zu keinem Zeitpunkt Anschläge im In- und Ausland geplant und sei auch nicht als Schleuser oder Anwärter für den IS tätig.


Beschluss vom 07.11.2017 -
BVerwG 1 A 8.17ECLI:DE:BVerwG:2017:071117B1A8.17.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 07.11.2017 - 1 A 8.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:071117B1A8.17.0]

Beschluss

BVerwG 1 A 8.17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. November 2017
durch die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
beschlossen:

Die Anträge des Klägers auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. B., des Richters am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D. und der Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. R. wegen Besorgnis der Befangenheit werden abgelehnt.

Gründe

1 Die vom Kläger mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2017 gestellten Anträge auf Ablehnung der drei Richter des 1. Revisionssenats, die an dem Beschluss vom 19. September 2017 im einstweiligen Rechtsschutzverfahren 1 VR 8.17 mitgewirkt haben, wegen Besorgnis der Befangenheit haben keinen Erfolg.

2 1. Über die Ablehnungsgesuche entscheidet der Senat nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 1 ZPO in seiner durch den Geschäftsverteilungsplan des Gerichts vorgesehenen Zusammensetzung ohne Mitwirkung der abgelehnten Richter.

3 Die danach zur Mitwirkung berufenen Richter des Senats mussten dem Kläger nicht vorab namentlich bekannt gegeben werden. Über die reguläre wie auch die vertretungsweise Besetzung des 1. Senats kann sich der Kläger durch Einsichtnahme in den im Internet veröffentlichten Geschäftsverteilungsplan des Bundesverwaltungsgerichts Kenntnis verschaffen. Hierauf ist seine Prozessbevollmächtigte mit Verfügung vom 6. Oktober 2017 hingewiesen worden. Ein Anspruch auf eine weitergehende Auskunft zur personellen Zusammensetzung des über seine Befangenheitsanträge entscheidenden Spruchkörpers besteht nicht, da diese vom Tag der Entscheidung und der Frage abhängt, ob bei einem oder mehreren der zunächst berufenen Richter ein Verhinderungsgrund vorliegt und in welchem Umfang Vertretungsregelungen greifen. Durch diese Ungewissheit wird der Kläger in der Wahrnehmung seines Ablehnungsrechts bezüglich weiterer Richter weder gehindert noch wird es ihm in unzumutbarer Weise erschwert. Es steht ihm vielmehr frei, in Bezug auf weitere, nach dem Geschäftsverteilungsplan möglicherweise zur Mitwirkung berufene Richter individuelle Ablehnungsgründe geltend zu machen.

4 2. Der Kläger hat keine Gründe geltend gemacht, die geeignet sind, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen.

5 Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO). Danach ist es nicht notwendig, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Andererseits reicht die rein subjektive Vorstellung eines Beteiligten, der Richter werde seine Entscheidung an persönlichen Motiven orientieren, nicht aus, wenn bei objektiver Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund für die Befürchtung ersichtlich ist. Die Besorgnis der Befangenheit ist nur dann gerechtfertigt, wenn aus der Sicht des Beteiligten hinreichende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (BVerwG, Beschluss vom 30. September 2015 - 2 AV 2.15 - NVwZ 2016, 253 Rn. 7 m.w.N.). Dass ein Richter bei der Würdigung des maßgeblichen Sachverhalts oder dessen rechtlicher Beurteilung eine andere Rechtsauffassung vertritt als ein Beteiligter, ist regelmäßig nicht geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Das gilt selbst für irrige Ansichten, solange sie nicht willkürlich oder offensichtlich unhaltbar sind und damit Anhaltspunkte dafür bieten, dass der Abgelehnte Argumenten nicht mehr zugänglich und damit nicht mehr unvoreingenommen ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Juli 2007 - 1 BvR 3084/06 - NJW-RR 2008, 72). Entsprechendes gilt für die von einem Richter gewählte Gestaltung des Verfahrens (BVerwG, Beschluss vom 12. Dezember 2016 - 5 C 10.15 D - Rn. 5).

6 Stellt ein Betroffener einen Ablehnungsantrag, hat er die zur Begründung seines Antrags notwendigen Tatsachen nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 44 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen, soweit diese nicht offenkundig sind (§ 291 ZPO). Hierdurch soll das Gericht in die Lage versetzt werden, ohne den Fortgang des Verfahrens verzögernde weitere Ermittlungen über das Ablehnungsgesuch zu entscheiden. Hinsichtlich der zur Glaubhaftmachung zugelassenen Beweismittel genügt nach § 44 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Bezugnahme auf das Zeugnis des abgelehnten Richters, der sich nach § 44 Abs. 3 ZPO über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern hat.

7 In diesem Sinne hat der Kläger keine Gründe geltend gemacht, die bei objektiver Betrachtung eine Ablehnung der drei Richter wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen. Die Richter haben mit Beschluss vom 19. September 2017 im einstweiligen Rechtsschutzverfahren 1 VR 8.17 einen Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen eine auf § 58a AufenthG gestützte Abschiebungsanordnung der Beklagten mit der Maßgabe abgelehnt, dass zusätzlich zu der Verbalnote des Tunesischen Außenministeriums vom 11. Juli 2017 eine tunesische Regierungsstelle zusichert, dass im Falle der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe die Möglichkeit einer Überprüfung der Strafe mit der Aussicht auf Umwandlung oder Herabsetzung der Haftdauer gewährt wird. In diesem Zusammenhang hat das Gericht im Einzelnen dargelegt, warum an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Abschiebungsanordnung derzeit keine ernstlichen Zweifel bestehen. Aus dieser inhaltlichen Behandlung des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens ergibt sich kein Ablehnungsgrund, auch wenn der Kläger in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht anderer Auffassung und zudem der Meinung ist, die abgelehnten Richter hätten sein Vorbringen nicht hinreichend zur Kenntnis genommen und hierauf in den Beschlussgründen näher eingehen müssen. Dass ein Richter den Sachverhalt anders würdigt und in rechtlicher Hinsicht eine andere Rechtsauffassung vertritt als ein Beteiligter, ist regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Dies gilt selbst für irrige Ansichten, solange sie nicht willkürlich oder offensichtlich unhaltbar sind. Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar oder schlechterdings nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. November 1992 - 1 BvR 1243/88 - BVerfGE 87, 273 <278 f.> m.w.N.; BVerwG, Beschlüsse vom 23. Oktober 2007 - 9 A 50.07 u.a. - NVwZ-RR 2008, 140 Rn. 6 und vom 15. Mai 2008 - 2 B 77.07 - NVwZ 2008, 1025 Rn. 6). Für einen solchen Fall ist hier nichts ersichtlich. Ebenso wenig bietet der angefochtene Beschluss Anhaltspunkte für die Annahme, die darin vertretene Rechtsauffassung der abgelehnten Richter sei offensichtlich unhaltbar. Hat sich das Gericht mit der Rechtslage und dem Sachverhalt, wie er sich nach Lage der Akten darstellt, inhaltlich auseinandergesetzt und entbehrt seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes, so liegt weder Willkür noch eine offensichtliche Unhaltbarkeit vor (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. November 1992 - 1 BvR 1243/88 - BVerfGE 87, 273 <278 f.> m.w.N.). So verhält es sich hier. Ebenso wenig begründet jede vermeintliche Verletzung des Rechts auf Wahrung rechtlichen Gehörs eine Besorgnis der Befangenheit. Für ein voreingenommenes Verhalten der abgelehnten Richter ergeben sich entgegen der Auffassung des Klägers auch in der Gesamtschau weder aus der von ihm bemängelten Begründung des Beschlusses noch aus den dem Kläger zugeleiteten dienstlichen Äußerungen der drei Richter konkrete Anhaltspunkte. Insbesondere haben sich diese in ihrer Entscheidung im Verfahren 1 VR 8.17 mit dem wesentlichen entscheidungserheblichen Vorbringen des Klägers inhaltlich befasst und dieser auch keinen grob aktenwidrigen Sachverhalt zugrunde gelegt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen in dem Beschluss vom 25. Oktober 2017 in dem Anhörungsrügeverfahren 1 VR 10.17 verwiesen, in dem auf die vermeintlichen Gehörsverstöße im Einzelnen eingegangen wird.