Beschluss vom 29.08.2017 -
BVerwG 2 B 10.17ECLI:DE:BVerwG:2017:290817B2B10.17.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 29.08.2017 - 2 B 10.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:290817B2B10.17.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 10.17

  • VG Düsseldorf - 30.06.2014 - AZ: VG 38 K 3390/12.BDG
  • OVG Münster - 22.11.2016 - AZ: OVG 3d A 1844/14.BDG

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. August 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden
und Dr. Kenntner
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. November 2016 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens

Gründe

1 1. Der 1963 geborene Beklagte steht als Postbetriebsassistent (Besoldungsgruppe A 6vz) im Dienst der Klägerin. Er war zuletzt als Gruppenleiter im Vorbereitungszentrum der stationären Bearbeitung Brief in der Niederlassung Brief D. eingesetzt.

2 Im April 2012 hat die Klägerin Disziplinarklage erhoben und dem Beklagten vorgeworfen, er habe am 13. Juli 2011 unberechtigt zwei ihm zugespielte sog. Fangbriefe geöffnet, die darin vorgefundenen Geldscheine mit einem Wert von 40 € entnommen und sich diese zugeeignet. Das sachgleiche strafrechtliche Ermittlungsverfahren hatte die Staatsanwaltschaft im Februar 2012 gemäß § 153a StPO unter der Auflage, 1 000 € an eine gemeinnützige Einrichtung zu zahlen, vorläufig und später - nach erfolgter Zahlung - endgültig eingestellt. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben.

3 Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass der Beklagte durch das Öffnen der beiden Fangbriefe und die Entnahme der Banknoten im Wert von insgesamt 40 € ein Dienstvergehen begangen habe. Bereits das Öffnen dienstlich zugänglicher Postsendungen in der Absicht, den vorgefundenen Inhalt für sich zu behalten, erschüttere das Vertrauensverhältnis regelmäßig nachhaltig. Zwar erfasse die strafrechtlich durch § 206 StGB geschützte Pflicht zur Wahrung des Postgeheimnisses Fangbriefe nicht. Im Disziplinarrecht komme es jedoch auf die Vertrauensbeeinträchtigung an. Auch bei Fangbriefen werde die Dienstpflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten verletzt. Diese Dienstpflichtverletzung sei durch den - strafbaren - Diebstahlsversuch vertieft worden. Bei der Maßnahmebemessung reiche der Orientierungsrahmen im Hinblick auf den Strafrahmen für den Diebstahlsversuch bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Die disziplinarrechtlich beachtliche Verletzung des Postgeheimnisses stelle ein schweres Dienstvergehen dar. Seine schuldhafte Verletzung sei jedenfalls dann bereits für sich allein geeignet, die Grundlage des Beamtenverhältnisses zu zerstören, wenn die Verletzung mit dem Ziel geschehe, Zugang zu aneignungsfähigem Inhalt von Postsendungen zu gewinnen. Auch der versuchte Diebstahl der in den Fangbriefen enthaltenen Banknoten wiege schwer. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit greife insoweit nicht, weil die Verletzung des Postgeheimnisses als zusätzliche Belastung zu dem Diebstahlsversuch hinzukomme.

4 2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

5 Die von der Beschwerde für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage,
"ob nicht eine jahrzehntelange beanstandungsfreie Tätigkeit, das sonstige einwandfreie dienstliche Verhalten des Beamten im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsabwägung höher zu gewichten ist als der versuchte Diebstahl einer geringwertigen Sache - trotz der Verletzung des Postgeheimnisses - bei ansonsten einwandfreiem Verhalten und geständiger Einlassung des Beamten",
ist - soweit sie in verallgemeinerungsfähiger Form beantwortet werden kann - in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, ohne dass insoweit neuer Klärungsbedarf dargelegt wird. Sie bedarf keiner erneuten Prüfung in einem Revisionsverfahren.

6 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt der - gesetzlich nicht bestimmte, sondern lediglich in der gerichtlichen Praxis entwickelte - Milderungsgrund der Geringwertigkeit der gestohlenen oder unterschlagenen Sache voraus, dass der Beamte nicht durch sein sonstiges Verhalten oder die konkrete Tatausführung zusätzlich belastet wird (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2015 - 2 C 6.14 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 38 Rn. 27 m.w.N., Beschluss vom 24. Juni 2016 - 2 B 24.15 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 37 Rn. 9). Die Verletzung des Postgeheimnisses begründet einen solchen zusätzlich belastenden Umstand. Denn sie stellt als solche bereits ein schweres Dienstvergehen dar, da von einem Postbeamten erwartet werden muss, dass er dieses grundrechtlich (Art. 10 Abs. 1 GG) und einfachrechtlich (§ 39 PostG, § 206 StGB) geschützte Rechtsgut achtet und mit besonderer Sorgfalt respektiert (BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2007 - 2 C 25.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 4 Rn. 34, Beschluss vom 24. Juni 2016 - 2 B 24.15 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 37 Rn. 9).

7 Im Übrigen betrifft die Bemessung der Disziplinarmaßnahme nach Maßgabe des § 13 BDG die Umstände des konkreten Einzelfalls und ist deshalb einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.

8 3. Die Revision ist auch nicht wegen einer mit der Beschwerde geltend gemachten Abweichung des Berufungsgerichts von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 C 63.11 - (BVerwGE 147, 229) zuzulassen (§ 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

9 Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht - oder unter den Voraussetzungen des § 127 BRRG ein Oberverwaltungsgericht - in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht. Das Revisionszulassungsrecht kennt - anders als die Vorschriften zur Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) - den Zulassungsgrund ernstlicher Richtigkeitszweifel nicht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 3).

10 Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Beschwerde greift lediglich die einzelfallbezogene Würdigung des Berufungsgerichts - das im Übrigen die von der Beschwerde benannten Umstände berücksichtigt hat - an, zeigt aber keinen, dem angeführten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts entgegenstehenden Rechtssatz des Berufungsgerichts auf.

11 Die Beschwerde bezieht sich auf den Rechtssatz in dem angeführten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die Verwaltungsgerichte bei der Gesamtwürdigung offen dafür sein müssen, dass mildernden Umständen im Einzelfall auch dann ein beachtliches Gewicht für die Maßnahmebemessung zukommen kann, wenn sie zur Erfüllung eines so genannten anerkannten Milderungsgrundes nicht ausreichen und nicht als nebensächlich oder geringfügig zurückgestellt werden dürfen, ohne dass sie in Bezug zur Schwere des Dienstvergehens und belastenden Gesichtspunkten gesetzt werden (BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 C 63.11 - BVerwGE 147, 229 Rn. 32). Sie zeigt aber keinen Rechtssatz des Berufungsgerichts auf, der hierzu in Widerspruch stehen könnte. Vielmehr rügt sie auch insoweit nur die einzelfallbezogene Würdigung nach § 13 BDG. In Disziplinarverfahren kann eine Divergenz jedoch grundsätzlich nicht damit begründet werden, das Tatsachengericht habe die be- und entlastenden Umstände im Rahmen der Gesamtwürdigung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG fehlerhaft gewichtet, weil es sich stets um eine einzelfallbezogene Würdigung handelt, die einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 20. Januar 2011 - 2 B 49.10 - IÖD 2011, 46, vom 3. Juli 2007 - 2 B 18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1 Rn. 7 und vom 24. Juni 2016 - 2 B 24.15 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 37 Rn. 13).

12 4. Die Rüge, das Urteil leide an einem schwerwiegenden Verfahrensmangel, da es ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 22. November 2016 in nicht öffentlicher Sitzung verkündet worden sei und deshalb gegen § 116 VwGO verstoße, ist unbegründet. Die ursprüngliche Protokollierung, wonach das Urteil in "nichtöffentlicher Sitzung" verkündet worden sei, ist ausweislich des auf dem Original des Protokolls angebrachten und vom Senatsvorsitzenden und der Protokollführerin unterschriebenen Vermerks vom 14. Februar 2017 in "öffentlicher Sitzung" berichtigt worden. Mit dieser den Anforderungen des § 173 VwGO i.V.m. § 164 ZPO genügenden Protokollberichtigung (vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 105 Rn. 8) ist dokumentiert, dass das Berufungsurteil in öffentlicher Sitzung und damit verfahrensfehlerfrei verkündet worden ist.

13 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 BDG und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren streitwertunabhängig Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 Abs. 1 BDG erhoben werden.