Beschluss vom 24.03.2017 -
BVerwG 3 B 22.16ECLI:DE:BVerwG:2017:240317B3B22.16.0

Beschluss

BVerwG 3 B 22.16

  • VG Berlin - 26.02.2016 - AZ: VG 9 K 227.14

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. März 2017
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. Februar 2016 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Klägerin begehrt ihre berufliche Rehabilitierung, weil sie wegen eines von ihr 1982 gestellten Ausreiseantrags in der DDR nicht erneut als Lehrerin eingestellt worden sei.

2 Im Verwaltungs- und Klageverfahren hat die Klägerin beantragt, ihr eine Bescheinigung nach § 17 des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG) auszustellen und die Zeit vom 1. September 1983 (Schuljahresbeginn nach Ablehnung des Ausreiseantrags am 4. Mai 1983) bis zum 2. Oktober 1990 als Verfolgungszeit anzuerkennen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe nach Beendigung ihrer Tätigkeit als Lehrerin im Jahre 1973 keine verfestigte Position innegehabt, als Lehrerin wieder eingestellt zu werden. Davon unabhängig sei die - nicht nachgewiesene - Weigerung des Rats des Stadtbezirks Berlin-Weißensee, die Klägerin wieder als Lehrerin zu beschäftigen, nicht als politische Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 1 BerRehaG anzusehen. Der berufliche Nachteil, aufgrund eines Ausreiseantrags nicht als Lehrerin arbeiten zu können, habe seinen Grund in systemimmanenten Umständen gehabt, die mehr oder weniger dem allgemeinen Schicksal von DDR-Bürgern entsprochen hätten. Solche Umstände und die daraus folgenden Nachteile seien unabhängig von ihrer Vereinbarkeit mit dem westlichen Demokratiemodell hinzunehmen.

3 Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Weder hat die Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO noch ist die behauptete Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO herausgearbeitet.

4 1. Ob hinsichtlich der Frage, ob die "Weigerung des staatlichen Arbeitgebers, einen Lehrer aufgrund des Ausreiseantrags zu beschäftigen, als politische Verfolgung ... einzustufen ist", die hierzu geltend gemachten Zulassungsgründe vorliegen, kann dahinstehen. Hierzu ist nur anzumerken, dass arbeitsrechtliche Benachteiligungen wegen der Stellung eines Ausreiseantrags sehr wohl als politische Verfolgung zu qualifizieren sein können. Davon ist die Bundesregierung in ihrem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht eindeutig ausgegangen (BT-Drs. 12/4994 S. 43). Als Beispiele für politische motivierte Eingriffe in Arbeitsverhältnisse hat sie ausdrücklich auf die Verfügung Nr. 34/77 des Vorsitzenden des Ministerrates und den Befehl 6/77 des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) hingewiesen. Andererseits ist in dem Gesetzentwurf zugleich deutlich gemacht, dass arbeitsrechtliche Sanktionen gegen Staatsfunktionäre wegen "Westkontakten" oder wegen des Verstoßes gegen vergleichbare Verbote nicht ohne Weiteres als politische Verfolgung zu qualifizieren seien. Bei ihnen komme es darauf an, ob die Maßnahme im konkreten Einzelfall mit rechtsstaatlichen Prinzipien und den legitimen Sicherheitsbedürfnissen eines rechtsstaatlich verfassten Staates schlechthin unvereinbar seien (BT-Drs. 12/4994 S. 43 f.). Entsprechend ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht von vornherein mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar (vgl. § 1 Abs. 2 des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes), dass von staatlichen Bediensteten ein Bekenntnis zu den Grundprinzipien des Staates abverlangt wurde. Daher hat der Senat die Entlassung eines Soldaten aus der Nationalen Volksarmee wegen der Unterhaltung von Westkontakten nicht (generell) als rechtsstaatswidrig angesehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Oktober 2015 - 3 PKH 4.15 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2015:​121015B3PKH4.15.0] - ZOV 2016, 30 <31>). Andererseits kann beruflichen Nachteilen von hinreichendem Gewicht, die durch die Verweigerung eines uneingeschränkten Bekenntnisses zur DDR, wie sie in einem Ausreiseantrag zum Ausdruck kam, ausgelöst wurden, der Charakter von politischer Verfolgung nicht allein deshalb abgesprochen werden, weil sie in systemimmanenten Umständen ihre Ursache hatten.

5 2. Die genannte Frage und die insoweit geltend gemachte Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sind nicht entscheidungserheblich, weil hinsichtlich der weiteren Begründung des angefochtenen Urteils, die Klägerin habe keine hinreichend verfestigte berufsbezogene Position auf (Wieder)Einstellung in den Schuldienst innegehabt, kein Revisionszulassungsgrund dargelegt ist. Hat das Verwaltungsgericht sein Urteil - wie hier - auf getrennte, selbstständig tragende Begründungen gestützt (so genannte Mehrfachbegründung), kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder der selbstständigen Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr; vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2010 - 7 B 67.10 - juris Rn. 8 m.w.N.).

6 3. Hinsichtlich der Begründung des angefochtenen Urteils, die Klägerin habe keine hinreichend verfestigte berufsbezogene Position gehabt, hat die Beschwerde keine durchgreifenden Zulassungsgründe vorgebracht.

7 Eine Abweichung des angefochtenen Urteils von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist insoweit nicht dargelegt. Zur Darlegung einer Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist es erforderlich, einen rechtlichen Obersatz aus der Rechtsprechung eines Divergenzgerichts zu bezeichnen und ihm einen rechtlichen Obersatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aus der angefochtenen Entscheidung gegenüberzustellen, der davon abweicht und die Entscheidung trägt. Das leistet die Beschwerde nicht. Sie rügt, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass in ihrem Fall ein Berufsverbot verhängt worden sei, und habe dadurch die selbst zugrunde gelegte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Beschluss vom 25. August 2010 - 3 B 11.10 - (ZOV 2010, 234) auf ihren Fall falsch angewendet. Damit wird ein Subsumtionsfehler gerügt, der, wenn er vorläge, mit einer Divergenz nicht gleichzusetzen ist. Das Gleiche gilt für die Rüge, das Verwaltungsgericht habe die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Anforderungen an die hinreichende Verfestigung des jeweiligen Rechts auf Berufsausübung (BVerwG, Urteile vom 12. Februar 1998 - 3 C 25.97 - Buchholz 115 Sonstiges Wiedervereinigungsrecht Nr. 11 S. 22 f. und vom 28. Mai 2015 - 3 C 12.14 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2015:​280515U3C12.14.0] - Buchholz 428.8 § 1 BerRehaG Nr. 6 Rn. 10; Beschluss vom 4. Februar 2010 - 3 PKH 9.09 - ZOV 2010, 145 Rn. 7) überspannt.

8 Auch eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist insoweit nicht erkennbar. Die formulierte Frage, welche Anforderungen an die hinreichende Verfestigung des Rechts auf Berufsausübung zu stellen sind, ist keiner verallgemeinerungsfähigen Beantwortung zugänglich. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass für die Berücksichtigung bloß hypothetischer Berufschancen im Rahmen der beruflichen Rehabilitation kein Raum ist. Das gilt sowohl für Fälle, in denen ein Eingriff in eine bisher ausgeübte oder eine begonnene Berufstätigkeit geltend gemacht wird, aber auch für den hier in Rede stehenden Fall, dass jemand daran gehindert wird, einen erlernten Beruf auszuüben (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2015 - 3 C 12.14 - Buchholz 428.8 § 1 BerRehaG Nr. 6 Rn. 10; Beschluss vom 4. Februar 2010 - 3 PKH 9.09 - ZOV 2010, 145 Rn. 7, jeweils m.w.N.). Ob die Voraussetzung einer hinreichend verfestigten berufsbezogenen Position vorliegt, hängt von der Gewichtung der Umstände des Einzelfalls in ihrem konkreten Zusammenhang ab. Dass das Verwaltungsgericht insoweit grundsätzlich klärungsfähige Rechtssätze aufgestellt hätte, macht die Beschwerde nicht deutlich. Es spricht nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil auch nichts Zwingendes dafür, dass der Bewertung des Verwaltungsgerichts solche Rechtssätze zugrunde liegen. Ob die Klägerin aufgrund ihrer abgeschlossenen Ausbildung und nachgewiesenen Befähigung als Lehrerin einen gesetzlichen Anspruch auf erneute Beschäftigung in ihrem früher bereits ausgeübten Beruf hatte, der unabhängig von der vom Verwaltungsgericht für erforderlich gehaltenen Zusicherung auf Wiedereinstellung bestand, ist eine Frage der Rechtslage und -praxis nach dem damaligen DDR-Recht, die als tatsächliche Frage in einem Revisionsverfahren nicht aufgeklärt werden könnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Dezember 2012 - 3 PKH 8.12 - ZOV 2013, 33 Rn. 9; Kuhlmann, in: Wysk, VwGO, 2. Aufl. 2016, § 137 Rn. 3 m.w.N.). Eine Verfahrensrüge hat die Klägerin insoweit nicht erhoben. Ist kein gesetzlicher Beschäftigungsanspruch zugrunde zu legen, dann spricht alles dafür, dass die Klägerin nach dem freiwilligen Ausscheiden aus dem Schuldienst und der langen Zeit der Nichtbeschäftigung nur noch eine nicht rehabilitierungsfähige Chance auf Wiederbeschäftigung hatte (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 25. August 2010 - 3 B 11.10 - ZOV 2010, 234).

9 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.