Verfahrensinformation

Die Klägerin beansprucht als Rechtsnachfolgerin jüdischer Bankkaufleute die Rückübertragung eines Grundstücks, das eine GmbH 1928 erworben und 1935 an einen Dritten veräußert hatte. Die Beteiligten streiten darüber, ob zwischen den Rechtsvorgängern der Klägerin und der GmbH ein Trauhandverhältnis bestand, ob es sich ggf. um eine Unternehmenstreuhand oder um eine Grundstückstreuhand handelte und ob bei einer Grundstückstreuhand zugunsten der Rechtsvorgänger der Klägerin die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlusts eingreift.


Urteil vom 23.09.2004 -
BVerwG 7 C 23.03ECLI:DE:BVerwG:2004:230904U7C23.03.0

Leitsätze:

Bei der Veräußerung eines Vermögensgegenstands durch einen Treuhänder sind Berechtigte i.S. des § 1 Abs. 6 i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG der verfolgte Treugeber und seine Rechtsnachfolger, wenn das Treuhandverhältnis der Abwendung verfolgungsbedingter Vermögensschäden diente.

Die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlusts (§ 1 Abs. 6 VermG i.V.m. Art. 3 REAO) gilt für eine Veräußerung im Rahmen eines solchen Treuhandverhältnisses auch dann, wenn für den Käufer nicht erkennbar ist, dass es sich um Verfolgtenvermögen handelt.

  • Rechtsquellen
    VermG § 1 Abs. 6
    REAO Art. 3 Abs. 1, Abs. 2
    VwGO § 108 Abs. 1 Satz 1

  • VG Berlin - 11.09.2003 - AZ: VG 29 A 206.98

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 23.09.2004 - 7 C 23.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:230904U7C23.03.0]

Urteil

BVerwG 7 C 23.03

  • VG Berlin - 11.09.2003 - AZ: VG 29 A 206.98

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r , die
Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y , H e r b e r t und K r a u ß
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. H a u s e r
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 11. September 2003 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

I


Die Klägerin beansprucht als Rechtsnachfolgerin jüdischer Bankkaufleute die Rückübertragung eines Grundstücks in B. Das Grundstück hatte die M. Verwaltungsgesellschaft für Grundbesitz mbH, eine Tochtergesellschaft der H. H. & Co. OHG, im Jahr 1928 erworben. Die OHG betrieb ein Handelsgeschäft unter der Firma H. & Co. Bankgeschäft. Gesellschafter waren nach dem Tod des Unternehmensgründers H. H. Ende 1921 dessen Söhne O. und E. H. Ihre Schwester A. K. war nach eigenen Angaben stille Gesellschafterin des Unternehmens. Mit notariell beglaubigter Erklärung vom 12. Oktober 1932 zeigten O. und E. H. beim Handelsregister die Auflösung der OHG an. Mit notariell beglaubigter Erklärung vom 13. Oktober 1932 wurde beim Handelsregister angezeigt, dass O. und E. H. das Handelsgeschäft an die bisherigen Prokuristen R. S. und A. G. veräußert hätten und die Haftung der Erwerber für Gesellschaftsschulden sowie der Übergang von Gesellschaftsforderungen auf die Erwerber ausgeschlossen worden seien. Die Erwerber setzten das Handelsgeschäft in einer neuen OHG unter der bisherigen Firma fort. Seit 1. Juli 1946 war A. G. Alleininhaber. 1980 wurde die Firma im Handelsregister gelöscht. In einer im Lastenausgleichsverfahren abgegebenen eidesstattlichen Versicherung vom 4. April 1956 erklärte A. G., E. und O. H. seien nach der Veräußerung Eigentümer des Handelsgeschäfts geblieben. Die Erwerber hätten sich verpflichtet, die Kundschaft zu übernehmen, das Handelsgeschäft fortzuführen und die Aktiva und Passiva abzuwickeln. Die Darstellung wird durch eidesstattliche Versicherungen des Notars S. Sch. vom 20. Mai 1958 und des früheren Leiters der Börsenabteilung des Bankhauses H. W. vom 25. Juli 1961 sowie durch ein Schreiben der Klägerin vom 7. Juni 1978 bestätigt.
E. H. wanderte 1934 aus Deutschland aus. 1938 heiratete er die Klägerin. O. H. verstarb 1940 in Nizza und wurde von E. H. beerbt. A. K. wurde von den Nationalsozialisten 1942 deportiert und 1948 zum 31. Dezember 1944 für tot erklärt. Ihr Erbe war E. H., der nach seinem Tod 1965 von der Klägerin beerbt wurde.
Gesellschafter der 1927 gegründeten M. Verwaltungsgesellschaft für Grundbesitz mbH waren Dr. K. E. und H. K.. Im November 1931 wurde A. G. zum Geschäftsführer bestellt. Gegenstand des Unternehmens waren Verwaltung, Vermittlung und An- und Verkauf von Immobilien. In einem Schreiben an das Finanzamt M. vom 27. Juni 1936 gab A. K. an, "Besitzerin der Anteile" der GmbH zu sein, Eigentümerin des Grundstücks sei die GmbH. Die GmbH veräußerte das in Rede stehende Grundstück mit notariellem Kaufvertrag vom 21. Mai 1935 an die S. Versuchsgesellschaft mbH zum Kaufpreis von 110 000 RM zuzüglich einer Provision von 2 500 RM an das Bankgeschäft H. & Co. Der Kaufpreis sollte durch Übernahme einer Hypothek von 95 000 RM und Barzahlung von 15 000 RM belegt werden. Der Barbetrag sollte beim Notar hinterlegt werden mit dem Auftrag, alle nicht von der Käuferin übernommenen, im Grundbuch eingetragenen Lasten abzulösen und den eventuellen Restbetrag nach Eintragung von Auflassung und Löschungen an die Verkäuferin auszuzahlen. Die Erwerberin wurde im Juli 1935 als Eigentümerin eingetragen. Das Grundstück wurde auf der Grundlage des Einziehungsgesetzes des Magistrats von Groß-Berlin vom 8. Februar 1949 (VOBl für Groß-Berlin I S. 34) in Volkseigentum überführt. Letzter Rechtsträger war der Rechtsvorgänger der Beigeladenen. Das Eigentum wurde der Beigeladenen zugeordnet. Das Grundstück wird von der Beigeladenen nicht mehr betrieblich genutzt.
Den Antrag der Klägerin auf Rückübertragung des Unternehmens H. & Co. Bankgeschäft und des in Rede stehenden Grundstücks lehnte das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen durch Bescheid vom 24. November 1998 ab, weil die Übertragung des Firmenmantels an die Prokuristen R. S. und A. G. im Oktober 1932 nicht auf einer Verfolgungsmaßnahme beruht habe, für eine über diesen Zeitpunkt hinaus andauernde Beteiligung der A. K. als stille Gesellschafterin an einem der beiden Unternehmen keine Anhaltspunkte beständen und die Rechtsvorgänger der Klägerin in der Zeit von 1933 bis 1945 weder Gesellschafter der OHG noch Eigentümer des Grundstücks gewesen seien.
Das Verwaltungsgericht hat der nach Rücknahme im Übrigen auf Rückübertragung des Grundstücks gerichteten Klage stattgegeben: Die Rechtsvorgänger der Klägerin, die als Juden zu dem in der Nazizeit verfolgten Personenkreis gehört hätten, seien wirtschaftliche Eigentümer des Grundstücks gewesen. Die M. GmbH, der die Grundstücke des Handelsgeschäfts zunächst aus steuerlichen Gründen übertragen worden seien, habe den Rechtsvorgängern der Klägerin als Treuhänder gedient. Als Tochtergesellschaft der früheren OHG habe sie auch nach Übertragung des Firmenmantels des Handelsgeschäfts im wirtschaftlichen Eigentum der Rechtsvorgänger der Klägerin gestanden und sei für diese von den nichtjüdischen Gesellschaftern im Rahmen einer Unternehmenstreuhand gehalten worden, wofür auch die Bestellung des A. G. im November 1931 als Geschäftsführer spreche. A. K. habe das in Rede stehende Grundstück in ihrer Vermögensteuererklärung 1935 angegeben und sich 1936 als Besitzerin der Anteile an der GmbH bezeichnet, weil das in Deutschland verbliebene Vermögen ihrer Brüder vor deren Auswanderung offenbar auf sie übertragen worden sei. Der Grundstücksverkauf im Jahr 1935 sei mit Willen der A. K. und damit verfolgungsbedingt erfolgt. Da das Treuhandverhältnis zur Abwendung oder Minderung verfolgungsbedingter Vermögensschäden begründet worden sei und die GmbH das Grundstück zu diesem Zweck veräußert habe, sei das Vorliegen eines Zwangsverkaufs i.S. des § 1 Abs. 6 VermG nach Art. 3 Abs. 1 REAO zu vermuten. Die Vermutung sei nicht widerlegt worden, weil nicht nachgewiesen worden sei, dass A. K. als Treugeberin über den Kaufpreis frei habe verfügen können.
Gegen dieses Urteil hat die Beigeladene die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt, zu deren Begründung sie vorträgt: Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die M. GmbH das in Rede stehende Grundstück als Treuhänderin für die Rechtsvorgänger der Klägerin gehalten habe, beruhe auf einer fehlerhaften Überzeugungsbildung. Das Verwaltungsgericht schließe dies aus dem Halten der Geschäftsanteile an der GmbH im Rahmen einer Unternehmenstreuhand. Dieser Schluss setze eine rechtlich unzutreffende Gleichsetzung von Unternehmenstreuhand und Grundstückstreuhand voraus. Aus dem Schreiben der A. K. vom 27. Juni 1936 ergebe sich nicht, dass die Grundstücke der GmbH wirtschaftliches Eigentum der Rechtsvorgänger der Klägerin gewesen seien. Die Gleichsetzung der GmbH mit ihren wirtschaftlichen Eigentümern verletze den Grundsatz der Konnexität. Ein verfolgungsbedingter Verkauf des Grundstücks habe allenfalls zur Berechtigung der GmbH führen können. Die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlusts sei auf einen Grundstücksverkauf durch den Treuhänder nicht anwendbar, weil sich bei einer Unternehmenstreuhand nicht feststellen lasse, ob die Entscheidungen von der Verfolgungssituation beeinflusst gewesen seien. Abgesehen davon beruhe die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Vermutung nicht widerlegt sei, auf einer verfahrensfehlerhaften Überzeugungsbildung.
Die Beklagte teilt die Auffassung der Beigeladenen, dass die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlusts bei einem Grundstücksverkauf durch den Treuhänder nicht anwendbar sei. Die Klägerin tritt der Revision entgegen.

II


Die Revision der Beigeladenen hat mit dem Ergebnis Erfolg, dass das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Zwar hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Rechtsvorgänger der Klägerin Eigentümer des Grundstücks waren und die Klägerin Berechtigte ist (1). Ebenfalls zu Recht ist das Verwaltungsgericht von der Anwendbarkeit der Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlusts ausgegangen (2). Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Beigeladene die Vermutung nicht widerlegt habe, beruht jedoch auf dem von der Revision gerügten Verfahrensfehler (3); das zwingt zur Zurückverweisung.
1. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts stand das Grundstück im wirtschaftlichen Eigentum der Rechtsvorgänger der Klägerin. Eingetragene Grundstückseigentümerin war hiernach zwar die M. GmbH; diese hielt das Grundstückseigentum aber als Treuhänderin für die Geschwister O. und E. H. und A. K. Die Feststellung derartigen Treuhandeigentums beruht auf einer verfahrensfehlerfreien Überzeugungsbildung. Der Rückübertragung des Eigentums an dem Grundstück steht der vermögensrechtliche Grundsatz der Konnexität nicht entgegen.
Es bedarf keiner Entscheidung, ob die gegen die Annahme einer Unternehmenstreuhand gerichteten Verfahrensrügen der Revision durchgreifen; denn jedenfalls hält die weitere, selbständig tragende Annahme des Verwaltungsgerichts, zwischen der GmbH und - nach Auswanderung der beiden Brüder H. - A. K. habe eine Grundstückstreuhand bestanden, den verfahrensrechtlichen Angriffen der Revision stand. Das treuhänderische Halten des Grundstücks durch die GmbH hat das Verwaltungsgericht daraus abgeleitet, dass A. K. das Grundstück in der Beilage zu ihrer Vermögensteuererklärung 1935 als eigenes Vermögen angegeben und das Finanzamt M. sie in Bezug auf das Grundstück als vermögensteuerpflichtig behandelt hat (Anfrage des Finanzamts vom 13. Mai 1936 beim Finanzamt Berlin-Mitte). Da eine steuerliche Veranlagung fremden Eigentums sehenden Auges ausgeschlossen werden kann, ist schon hiernach nicht zweifelhaft, dass A. K. wirtschaftliche Eigentümerin des Grundstücks war. Angesichts dessen kann offen bleiben, ob der Einwand der Revision zutrifft, aus dem Schreiben der A. K. an das Finanzamt M. vom 27. Juni 1936 ergebe sich nicht eindeutig, dass das Grundstück im wirtschaftlichen Eigentum der Rechtsvorgänger der Klägerin stand. Unabhängig davon ist die tatrichterliche Würdigung der einschlägigen Indizien nicht verfahrensfehlerhaft. Das Verwaltungsgericht zieht den Schluss auf die Grundstückstreuhand aus der in diesem Schreiben enthaltenen Angabe, dass A. K. Alleininhaberin der Geschäftsanteile der GmbH war. Dies ist eine denkgesetzlich mögliche Folgerung, die vor dem Hintergrund der Familiengeschichte, der treuhänderischen Übertragung der Firma H. & Co. Bankgeschäft, der Auswanderung der Brüder H. und der inzwischen manifesten NS-Verfolgung an Überzeugungskraft noch gewinnt.
Bei einer solchen Treuhandbeteiligung stand das Grundstück rechtlich im Eigentum der GmbH und wirtschaftlich im Eigentum der A. K. als Treugeberin. Gegenüber der Treugeberin hatte die GmbH die schuldrechtliche Pflicht, ihr Eigentumsrecht nach Maßgabe des Treuhandverhältnisses auszuüben. Diese rechtliche Konstruktion kann einen Rückübertragungsanspruch der wirtschaftlichen Eigentümerin begründen. In der Rechtsprechung der Rückerstattungsgerichte war nämlich anerkannt, dass in Treuhandfällen, in denen Verfolgteneigentum zu Tarnungszwecken auf nichtjüdische Treuhänder übertragen worden war, der Rechtsverlust in der Person des verfolgten Treugebers entstanden ist. Der Treugeber wurde als aktiv legitimiert angesehen, weil es bei Berücksichtigung der Verfolgtensituation nicht auf das Vorhandensein eines formalen Rechtstitels, sondern auf den Wiedergutmachungszweck der Rückerstattungsgesetze ankomme (ORG BrZ, RzW 1955, 270; Küster, RzW 1949/50, 117; Schwarz, Rückerstattung nach den Gesetzen der Alliierten Mächte, 1974, S. 137 f.). Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die nicht mit einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge angegriffen worden sind, diente das Treuhandverhältnis der Abwendung oder Verminderung verfolgungsbedingter Vermögensschäden. Infolgedessen konnte die Veräußerung des Treuguts durch den Treuhänder eine ungerechtfertigte Entziehung, in den Worten des Vermögensgesetzes also einen Vermögensverlust durch Zwangsverkauf begründen, wenn sie ihrerseits unter Verfolgungsdruck vorgenommen wurde (OLG Frankfurt, RzW 1949/50, S. 144; ORG BrZ, RzW 1955, 270).
Die Annahme einer aus dem wirtschaftlichen Eigentum der Treugeberin abgeleiteten Berechtigung der Klägerin verstößt entgegen der Ansicht der Revision nicht gegen den restitutionsrechtlichen Grundsatz der Konnexität. Dieser Grundsatz setzt entsprechend dem Zweck einer Wiedergutmachung in Natur die Gleichartigkeit von Schädigungsgegenstand und Restitutionsgegenstand voraus (Urteil vom 6. April 1995 - BVerwG 7 C 11.94 - BVerwGE 98, 154 <159 f.>; Urteil vom 24. Juli 2003 - BVerwG 7 C 1.03 - BVerwGE 118, 337 <340> m.w.N.; Urteil vom 20. März 2002 - BVerwG 8 C 2.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 7 VermG Nr. 8 m.w.N.). Bei einem Treuhandverhältnis, das durch das Auseinanderfallen von rechtlicher und wirtschaftlicher Zuordnung gekennzeichnet ist, weil der Treuhänder über das Treugut im eigenen Namen verfügen kann, aber nur im Rahmen der Treuhandabrede verfügen darf, steht die Gleichartigkeit von Schädigungsgegenstand und Restitutionsgegenstand außer Frage. Nicht zweifelhaft ist auch, dass als Berechtigter der verfolgte Treugeber anzusehen ist, da er gerade infolge der Veräußerung des Treuguts durch den Treuhänder von einer schädigenden Maßnahme betroffen wurde. Angesichts dessen steht schon der das Vermögensrecht beherrschende Wiedergutmachungsgedanke der Annahme einer Berechtigung des nicht verfolgten Treuhänders entgegen. Davon abgesehen müssen bei der Auslegung des § 1 Abs. 6 VermG die alliierten Rückerstattungsregelungen und die dazu ergangene Rechtsprechung herangezogen werden (Urteil vom 22. Februar 2001 - BVerwG 7 C 12.00 - BVerwGE 114, 68 <70>). Die Rückerstattungsgerichte haben, wie bereits erwähnt, in den einschlägigen Treuhandfällen den Treugeber als aktiv legitimiert und damit als Berechtigten anerkannt.
2. Die Veräußerung des Treuguts durch den Treuhänder löst in verfolgungsbedingt begründeten Treuhandverhältnissen die Vermutung des § 1 Abs. 6 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 REAO aus.
Aus dem Normwortlaut ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vermutung in solchen Treuhandverhältnissen nicht anwendbar sein soll. Zugunsten des Berechtigten wird gemäß § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust nach Maßgabe der Art. 3 und 4 REAO vermutet. Da der verfolgte Treugeber nach dem Gesagten Berechtigter ist, wird nach Art. 3 Abs. 1 REAO zu seinen Gunsten vermutet, dass die in dieser Vorschrift genannten Rechtsgeschäfte ungerechtfertigte Entziehungen sind. Zu diesen Rechtsgeschäften gehört die Veräußerung von Vermögensgegenständen in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945. Die Beklagte begründet ihre in der Revisionserwiderung vertretene gegenteilige Ansicht damit, dass bei einem Grundstücksverkauf durch den Treuhänder dem Erwerber die Eigenschaft des Verkäufers als Verfolgten verborgen bleibe. Das Argument der fehlenden Kenntnis des Erwerbers von der Verfolgtensituation trägt jedoch nicht, weil es auf diese Kenntnis bei der Vermutungsregel nicht ankommt. Nach der Rechtsprechung der Rückerstattungsgerichte zu der Tarnung dienenden Treuhandverhältnissen war das Verhalten des Erwerbers ebenso wenig maßgeblich wie seine Motivation, sein guter Glaube oder seine Kenntnis von der Verfolgtensituation (OLG München, RzW 1949/50, 206; CoRA, RzW 1952, 33; Schwarz, a.a.O., S. 109 f.). Für die Anwendung der Vermutungsregel ist allein von Bedeutung, ob der Verkäufer zum Personenkreis der Verfolgten gehörte; zugunsten der Verfolgten streitet die Erfahrungstatsache, dass sie aufgrund ihrer Verfolgung einem Verkaufszwang ausgesetzt waren. Die Vermutungsregel findet ihre Grenze erst in einer unzulässigen Rechtsausübung, für die hier nichts ersichtlich ist.
Die von der Beklagten gezogene Parallele zum Anscheinsbeweis in den Fällen der Ausreise aus der DDR liegt neben der Sache. Danach greift die Regelvermutung, dass ein ausreisebedingter Grundstücksverkauf auf unlauteren Machenschaften i.S. des § 1 Abs. 3 VermG beruhte, nicht ein, wenn das Grundstück nach der Ausreise durch einen Bevollmächtigten veräußert wurde (Beschluss vom 21. Oktober 1999 - BVerwG 7 B 109.99 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 5). Abgesehen davon, dass es auch in den Ausreisefällen nicht auf die Kenntnis des Erwerbers von der Ausreiseabsicht ankam, beruht die Unanwendbarkeit der Regelvermutung in den Ausreisefällen auf der Ungewissheit, ob bei einer Veräußerung nach der Ausreise die ausreisebedingte Zwangslage fortbestand oder ob sie entfallen sein konnte, weil der bereits Ausgereiste sich aus anderen Gründen zum Verkauf entschlossen hat. Entscheidend ist also nicht die von der Beklagten offenbar für erheblich gehaltene Tatsache, dass ein Bevollmächtigter die Veräußerung vorgenommen hat, sondern der mögliche Wegfall der Zwangslage. Dass bei den NS-Verfolgten die durch ihre Verfolgungssituation begründete Zwangslage nicht deshalb verneint werden kann, weil sie ihr Vermögen durch Treuhandverhältnisse getarnt haben, bedarf keiner näheren Begründung.
Entgegen der Ansicht der Revision kann auch keine Rede davon sein, dass die Rechtsvorgänger der Klägerin durch die Anwendung der Vermutungsregel besser gestellt würden, als sie nach einer Rückerstattungsentscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt gestellt gewesen wären (OLG Frankfurt, RzW 1949/50, 144). Die Revision meint, nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts sei die Vermutungsregel auf die Treuhandfälle nur in eingeschränktem Umfang anwendbar. Das trifft nicht zu. Gegenstand jener Entscheidung war die Frage, ob die unentgeltliche Überlassung des Grundstücks eines Verfolgten an seine Hausangestellte nach der speziellen Vermutungsregel des Art. 5 US-REG (identisch mit Art. 4 REAO) als Begründung eines Treuhandverhältnisses oder als eine von der Vermutungsregel ausgenommene Anstandsschenkung anzusehen war. Diese Frage hat keinerlei Bezug zur Anwendbarkeit der Vermutungsregel des Art. 3 Abs. 1 REAO auf Veräußerungen von Verfolgtenvermögen durch einen Treuhänder. Davon abgesehen ist der Entscheidung des Oberlandesgerichts ohne Weiteres zu entnehmen, dass es die Vermutungsregel des Art. 3 Abs. 1 REAO auf die weitere Veräußerung des Grundstücks durch die Hausangestellte an einen Dritten angewendet und dementsprechend den Veräußerungsvorgang als Entziehung, also verfolgungsbedingten Vermögensverlust bewertet hat.
3. Verfahrensfehlerhaft hat das Verwaltungsgericht allerdings festgestellt, dass die Beigeladene die Vermutung eines verfolgungsbedingten Vermögensverlusts der Rechtsvorgänger der Klägerin nicht widerlegt habe. Die hiergegen von der Revision erhobene Rüge einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes ist begründet.
Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Vorschrift verpflichtet das Gericht, alle erheblichen Tatsachen oder Beweisergebnisse zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht liegt vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts und zugleich für die Überprüfung seiner Entscheidung darauf, ob die Grenze einer die anerkannten Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze beachtenden Würdigung überschritten ist (Urteil vom 18. Mai 1990 - BVerwG 7 C 3.90 - BVerwGE 85, 155 <158>; Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <208 f.>; jeweils m.w.N.). Beschränkt sich der Mangel tatrichterlicher Überzeugungsbildung auf die Würdigung von Tatsachen, ohne die rechtliche Subsumtion zu berühren, gehört er nicht zum dem materiellen Recht zugeordneten Bereich der freien Beweiswürdigung, sondern begründet einen Verfahrensfehler, der im Revisionsverfahren gerügt werden kann. Das gilt namentlich auch für eine unzureichende indizielle Beweisführung (Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272 f.>).
Das Verwaltungsgericht ist im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon ausgegangen, dass der einem verfolgungsfrei bestellten Bevollmächtigten zugeflossene Kaufpreis in die freie Verfügbarkeit des Verfolgten gelangt ist, solange der Bevollmächtigte in der Lage war, entsprechend den tatsächlichen oder vermuteten Weisungen der Vollmachtgeberin zu handeln (Urteil vom 24. Februar 1999 - BVerwG 8 C 15.98 - BVerwGE 108, 301 <313>). Angesichts des Umstands, dass das treuhänderische Auftragsverhältnis zwischen der durch ihren Geschäftsführer A. G. vertretenen M. GmbH und A. K. nur noch der Abwicklung des in Deutschland vorhandenen Vermögens diente, hat es folgerichtig eine Zahlung an die Treugeberin für erforderlich gehalten, weil der nichtjüdische Treuhänder das aus der Geschäftsbesorgung Erlangte mangels abweichender Weisung der Treugeberin herauszugeben hatte. Das Verwaltungsgericht hat sich allerdings außerstande gesehen festzustellen, dass der vereinbarte Barbetrag von 15 000 RM vertragsgemäß beim Notar hinterlegt, der eventuelle Restbetrag an die GmbH ausgezahlt und mangels anderweitiger Weisung an A. K. weitergereicht worden sei. Hierbei ist ihm der von der Revision gerügte Verfahrensfehler unterlaufen; denn es hat bei der Überzeugungsbildung wesentliche tatsächliche Umstände ausgeblendet, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen.
Wie sich aus den Akten ergibt, hatte A. K. in ihrer Vermögensteuererklärung 1935 den Verkaufserlös für das Grundstück mit 7 000 RM beziffert und angegeben, den Betrag noch nicht erhalten zu haben, "da Hypothekenbrief aufgeboten" (§ 1162 BGB). Dagegen findet sich in dem aktenkundigen Auszug aus der Vermögensteuererklärung 1938 von A. K. kein Hinweis mehr auf den noch ausstehenden Verkaufserlös. Beide Umstände waren für die weitgehend auf Indizien gestützte Überzeugungsbildung des Verwaltungsgerichts von Belang. Das gilt unabhängig davon, ob aus ihnen geschlossen werden muss, der Kaufpreis sei bis zur Anfertigung der Vermögensteuererklärung 1938 in die freie Verfügbarkeit von A. K. gelangt (vgl. hierzu Urteil vom 26. November 2003 - BVerwG 8 C 10.03 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 23). Das Verwaltungsgericht hat eine Würdigung dieser Umstände unterlassen und sich mit der pauschalen Feststellung begnügt, die Frage der Auszahlung des Restbetrags an A. K. sei nicht zu ermitteln. Dieser Mangel zwingt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht. Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Verwaltungsgericht, falls es darauf ankommen sollte, auch zu klären haben, ob der gezahlte Kaufpreis angemessen war. Dabei wird es nicht davon ausgehen dürfen, dass die Angemessenheit des Kaufpreises bei erfolgreicher Tarnung des verfolgten Verkäufers zu vermuten ist. Maßgeblich ist ausschließlich, ob der Kaufpreis bei objektiver Beurteilung angemessen ist; auf die Kenntnis des Käufers vom Verfolgungsdruck kommt es auch in diesem Zusammenhang nicht an. Da der Treuhänder den Weisungen des verfolgten Treugebers unterstand, lässt sich die Möglichkeit, dass die Bedingungen des Verkaufsgeschäfts durch die Verfolgungssituation beeinflusst wurden, nicht ausschließen.