Beschluss vom 17.05.2011 -
BVerwG 8 B 98.10ECLI:DE:BVerwG:2011:170511B8B98.10.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 17.05.2011 - 8 B 98.10 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:170511B8B98.10.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 98.10

  • VG Magdeburg - 31.08.2010 - AZ: VG 7 A 393/09 MD

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Mai 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 31. August 2010 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund einer Verletzung von Verfahrensrecht (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.

2 Soweit der Kläger mit der Beschwerde eine unvollständige Aufklärung des Sachverhaltes mit der Begründung rügt, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht unterlassen, zur „Tatsachenfrage“, wer zum Zeitpunkt der Schädigung (1945/1946) Unternehmensträger des Rittergutes/Landgutes R. bei L. war, ein Sachverständigengutachten einzuholen, fehlt es dafür schon an einer prozessordnungsgemäßen Darlegung der Voraussetzungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

3 Die Prüfung, ob das angefochtene Urteil auf einem Verfahrensmangel - insbesondere einer Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) - beruht, muss von der materiellrechtlichen Beurteilung der Vorinstanz ausgehen, und zwar selbst dann, wenn diese sich als unzutreffend erweisen sollte (stRspr, vgl. Urteil vom 4. November 1994 - BVerwG 8 C 28.93 - Buchholz 454.71 § 7 WoGG Nr. 1; Beschluss vom 29. November 2006 - BVerwG 7 B 61.06 - juris Rn. 13). Die Beschwerde hätte deshalb darlegen müssen, aus welchem Grund und in welcher Hinsicht nach der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts eine weitere Erforschung des Sachverhalts gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO notwendig gewesen wäre. Die Aufklärungsrüge erfordert damit eine substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher konkreten Tatsachen, Erfahrungssätze oder - ausnahmsweise - (ausländischer) Rechtsnormen (vgl. dazu u.a. Dawin, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Band II, § 96 Rn. 10 m.w.N.) auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des vorinstanzlichen Gerichts Aufklärungsbedarf bestand, welche Beweismittel zur Verfügung standen, zu welchem Ergebnis die Beweisaufnahme voraussichtlich geführt hätte und inwiefern das verwaltungsgerichtliche Urteil auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann (vgl. Beschlüsse vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265, vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328 und vom 10. Mai 2006 - BVerwG 8 B 70.05 - juris Rn. 7). Daran fehlt es hier.

4 Die mit der Beschwerde als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage, wer hinsichtlich des Rittergutes R. Unternehmensträger war, zielt im Ergebnis auf die Beantwortung einer Rechtsfrage, die das Gericht auf der Grundlage einer dem Streitfall angemessenen Aufklärung des maßgeblichen Sachverhalts (§ 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) selbst zu beantworten hatte. Es war Aufgabe des Verwaltungsgerichts, nicht aber eines von diesem beauftragten Sachverständigen, zu klären, ob zum Zeitpunkt der hier in Rede stehenden Schädigungshandlung (1945/1946) ein Unternehmensträger des Rittergutes (Landgutes) R. existierte und ob dies ggf. die 1923 gegründete „Gebrüder-T.-GmbH“, eine Bruchteilsgemeinschaft, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder ggf. eine andere natürliche oder juristische Person war.

5 Unabhängig davon hat der Kläger die von ihm erhobene Aufklärungsrüge auch deshalb nicht hinreichend begründet, weil er innerhalb der Begründungsfrist nicht substantiiert dargelegt hat, welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (stRspr, vgl. u.a. Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O.)

6 Entgegen der Beschwerde ist auch nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat. Dieser Anspruch verpflichtet das Gericht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist jedoch nicht gezwungen, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen sowohl zur Kenntnis genommen als auch in seine Erwägungen einbezogen hat. Nur bei deutlichen gegenteiligen Anhaltspunkten kann ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs angenommen werden (vgl. z.B. Beschlüsse vom 10. Mai 1999 - BVerwG 7 B 300.98 - juris und vom 4. August 2000 - BVerwG 7 B 38.00 - juris). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht - wie der Kläger mit der Beschwerde geltend macht - seinen Hinweis auf die testamentarischen Verfügungen der Eheleute Johannes und Martha T. oder sein Vorbringen, diese hätten „gerade keinem ihrer Söhne eine Sonderstellung einräumen woll[t]en“, nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat. Denn im Tatbestand des angegriffenen Urteils wird der Inhalt des gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute Johannes und Martha T. vom 12. Februar 1938 ausdrücklich referiert. Darauf, ob sie keinem ihrer Söhne eine Sonderstellung einräumen „wollten“, kam es nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts nicht an. Auch der zwischen Ernst und Carl T. abgeschlossene Kaufvertrag vom 23. März 1942 ist vom Verwaltungsgericht - entgegen dem Beschwerdevorbringen - im angegriffenen Urteil (vgl. UA S. 3, fünfter Absatz; UA S. 17, dritter Absatz) zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen worden. Dass das Verwaltungsgericht daraus andere als die vom Kläger gewünschten Schlussfolgerungen gezogen hat, ändert daran nichts.

7 Auch im Übrigen ist ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht ersichtlich. Nach § 108 Abs. 2 VwGO darf das Gericht seine Entscheidung nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Das schließt den Anspruch der Verfahrensbeteiligten ein, nicht durch Unkenntnis der nach Auffassung des Gerichts entscheidungserheblichen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte an einer sachlichen Äußerung gehindert zu sein. Das Gericht darf deshalb keinen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung machen und so dem Rechtsstreit eine Wendung geben, mit der ein Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190>; Kammerbeschluss vom 2. Januar 1995 - 1 BvR 320/94 - NJW 1996, 45; BVerwG, Urteile vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235 und vom 24. September 1992 - BVerwG 3 C 88.88 - Buchholz 451.512 MGVO Nr. 61; Beschluss vom 12. März 2009 - BVerwG 3 B 2.09 - juris). Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte ausreichend Gelegenheit, sich zu dem entscheidungserheblichen Sachverhalt tatsächlich und rechtlich sowohl schriftlich als auch in der mündlichen Verhandlung zu äußern. Wie sich aus dem Protokoll vom 31. August 2010 ergibt, war die Frage, wer Träger des landwirtschaftlichen Unternehmens „Rittergut R.“ im Schädigungszeitraum war, Gegenstand der mündlichen Verhandlung, wobei der Kläger auch die ihm gebotene Möglichkeit wahrgenommen hat, seinen Rechtsstandpunkt eingehend darzustellen.

8 Soweit mit der Beschwerde eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes gerügt worden sein sollte, ist ein solcher ebenfalls nicht ersichtlich. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO enthält als prozessrechtliche Vorschrift Vorgaben, die die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Gerichts als Vorgang steuern (vgl. Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 = juris Rn. 5; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 132 Rn. 48). Das Gericht hat seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen. Die Einhaltung der daraus folgenden verfahrensmäßigen Verpflichtungen ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter ein aus seiner Sicht fehlerhaftes Ergebnis der gerichtlichen Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als das angefochtene Urteil. Die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts darf vom Revisionsgericht nicht daraufhin überprüft werden, ob sie überzeugend ist, ob festgestellte Einzelumstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die abschließende Würdigung des Sachverhalts eingegangen sind und ob solche Einzelumstände ausreichen, die Würdigung zu tragen. Solche Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO deshalb grundsätzlich nicht begründen (stRspr, vgl. u.a. Beschlüsse vom 12. Januar 1995 - BVerwG 4 B 197.94 - Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4 S. 1 <4>, vom 2. November 1995 a.a.O. S. 18 f., vom 8. April 2008 - BVerwG 9 B 13.08 - Buchholz 451.29 Schornsteinfeger Nr. 44 = juris Rn. 10 und vom 28. Oktober 2010 - BVerwG 8 B 23.10 - juris). Ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz hat jedoch dann den Charakter eines Verfahrensfehlers, wenn das Tatsachengericht allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze verletzt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein solcher Mangel vorliegt, hat die Beschwerde nicht substantiiert dargetan. Soweit sich die Beschwerde konkret gegen die vom Verwaltungsgericht vertretene Rechtsauffassung wendet, dass zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Schädigung (1945/1946) allein Carl T. Träger des landwirtschaftlichen Unternehmens war, und demgegenüber geltend macht, dessen Mutter Martha T. habe zu diesem Zeitpunkt nicht nur Miteigentum an Flächen des Rittergutes R., sondern an dem Rittergut (Landgut) selbst gehabt, rügt er ein aus seiner Sicht fehlerhaftes Ergebnis der gerichtlichen Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als das angefochtene Urteil. Damit wendet er sich gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene materiellrechtliche Würdigung des Sachverhalts, die jedoch nicht Gegenstand einer Verfahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, sondern allenfalls einer Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) oder einer Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sein kann. Letztere sind aber mit der Beschwerde nicht erhoben worden.

9 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 und 4 GKG.