Beschluss vom 06.11.2007 -
BVerwG 8 C 17.07ECLI:DE:BVerwG:2007:061107B8C17.07.0

Beschluss

BVerwG 8 C 17.07

  • VG Frankfurt/Oder - 30.11.2005 - AZ: VG 3 K 77/05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. November 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf und Postier
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge der Beigeladenen gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juni 2007 - BVerwG 8 C 8.06 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Beigeladene trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1 1. Der Senat entscheidet über die Anhörungsrüge in der Besetzung von drei Richtern. Zwar kann für eine Entscheidung in der Besetzung von fünf Richtern sprechen, dass diese eher dem Zweck einer wirksamen Selbstkontrolle nach der durchgeführten mündlichen Verhandlung Rechnung tragen würde. Andererseits hat der Gesetzgeber eine von der generellen Regelung des § 10 Abs. 3 Halbsatz 2 VwGO abweichende Regelung in § 152a VwGO trotz der dort enthaltenen detaillierten Verfahrensregelungen nicht getroffen (Beschluss vom 17. August 2007 - BVerwG 8 C 5.07 - juris). Auch wirkt an der Entscheidung entsprechend der Geschäftsverteilung des Senats ein Richter mit, der an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen hat. § 152a VwGO trifft keine Regelung, dass über die Anhörungsrüge nur die Richter entscheiden, die beim Urteil mitgewirkt haben, wie sie § 119 Abs. 2 Satz 3 VwGO vorsieht. Dementsprechend entscheidet nach der Praxis des Bundesverwaltungsgerichts beim Wechsel der Zuständigkeit der nunmehr zuständige Senat über die Anhörungsrüge gegen ein Urteil des bisher zuständigen Senats (Beschluss vom 19. April 2007 - BVerwG 7 C 35.07 - juris).

2 2. Dem Antrag der Beigeladenen, das Verfahren fortzuführen (§ 152a Abs. 5 Satz 1 VwGO), folgt der Senat nicht. Die Anhörungsrüge ist unbegründet.

3 Die Beigeladene macht geltend, dass der Senat ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abgestellt habe, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht habe zu rechnen brauchen. Die Beigeladene vermisst einen rechtlichen Hinweis auf die Rechtsauffassung des Senats, die in dem folgenden Leitsatz des Urteils vom 21. Juni 2007 zusammengefasst worden ist:
„In Zweifelsfällen, ob jemand zum Personenkreis der Kollektivverfolgten im Sinne des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b REAO gehörte, kommt es darauf an, ob nach den Erkenntnissen zur Zeit des Nationalsozialismus der Nachweis erbracht war, dass er Jude oder ′Mischling ersten Grades′ war, oder ob er, unabhängig davon, als solcher behandelt wurde. Neue Erkenntnisquellen aus heutiger Zeit können für den Nachweis nicht berücksichtigt werden“.

4 a) Eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) liegt nicht vor. Insbesondere hat der Senat in dem Urteil nicht auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abgestellt, zu dem die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung keine Gelegenheit hatten, ihre Rechtsauffassung darzulegen. In der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2007, die ausweislich des Protokolls von 11.04 bis 12.43 Uhr dauerte, stand die Frage, auf welche Erkenntnisquellen abzustellen sei und welche rechtliche Konsequenzen sich ergeben würden, wenn lediglich die Erkenntnisse zur Zeit des Nationalsozialismus maßgeblich seien, im Mittelpunkt des Rechtsgesprächs mit den Beteiligten. Hierbei hat der Senat auch deutlich gemacht, dass er nach revisionsrechtlichen Grundsätzen selbst die Beweiswürdigung vornehmen könne, wenn das Verwaltungsgericht den rechtlichen Maßstab fehlerhaft angewendet habe. Dementsprechend ist in der mündlichen Verhandlung auch erörtert worden, wie die Indizien zu würdigen sind.

5 b) Die Rüge der Beigeladenen zielt im Wesentlichen darauf ab, dass der Senat ihr vor der mündlichen Verhandlung hätte Gelegenheit zur Stellungnahme zur Frage geben müssen, aus welchem Zeitabschnitt Erkenntnisquellen zum Nachweis der Verfolgtenstellung herangezogen werden könnten. Auch insoweit scheidet eine Verletzung des rechtlichen Gehörs aus. Zwar kann es erforderlich sein, bereits vor der mündlichen Verhandlung Hinweise auf einen wesentlichen rechtlichen Gesichtspunkt zu geben, wenn eine solche vorherige Mitteilung den Verfahrensbeteiligten erst Gelegenheit gibt, durch einen sachlich fundierten Vortrag die Willensbildung des Gericht zu beeinflussen (vgl. auch BVerfGE 49, 212 <215>; BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Juni 2003 - 1 BvR 2285/02 - NJW 2003, 2524). Im vorliegenden Fall war ein solcher vorheriger rechtlicher Hinweis nicht geboten. Die Frage, ob nach den vorliegenden Indizien Herr Friedrich J. in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 im Sinne der NS-Rassenideologie als „Mischling ersten Grades“ verfolgt wurde und ob die vorliegenden Indizien hierfür ausreichten, war der zentrale Punkt des Gerichtsverfahrens. Hiermit hatte sich das Urteil des Verwaltungsgerichts im Einzelnen befasst, das - wie den beteiligten Anwälten bekannt war - in rechtlicher Hinsicht zur vollen Überprüfung im Revisionsverfahren stand. Davon abgesehen war die Frage, welche Erkenntnisquellen zugrunde zu legen seien, von dem Kläger bereits im erstinstanzlichen Verfahren in dem Schriftsatz vom 27. September 2005 behandelt worden. Von der Beigeladenen ist in der mündlichen Verhandlung auch kein Antrag gestellt worden, ihr für eine ergänzende Stellungnahme eine Schriftsatzfrist einzuräumen.

6 c) Soweit die Beigeladene auf einzelne Begründungselemente des Urteils abstellt und sich mit diesen auseinandersetzt, handelt es sich im Wesentlichen um eine abweichende Beweiswürdigung, die nicht Gegenstand des Verfahrens nach § 152a VwGO ist. Wenn damit geltend gemacht werden soll, dass die wesentlichen Begründungselemente in der mündlichen Verhandlung nicht angesprochen worden seien, wäre dies unzutreffend. So ist insbesondere über das Schreiben der Ortsgruppe L., den Vorbehalt noch schwebender Ermittlungen in der Aufstellung der „Judengüter über 75 ha“, die Auskunft der Deutsch-Polnischen Gesellschaft vom 15. Februar 1939 und auch mögliche Bewertungen zu Personenstandsurkunden in der mündlichen Verhandlung diskutiert worden. Auch ist von Seiten des Senats darauf hingewiesen worden, dass das Verhalten des Reichssippenamtes von wesentlicher Bedeutung sein könne. Außerdem sind die insbesondere von der Beigeladenen in das Gespräch gebrachte Fallgruppe der „Tarnung“ oder „Verheimlichung“ der Zugehörigkeit zum verfolgten Personenkreis und eine sich hieraus ergebende Verfolgungssituation in der mündlichen Verhandlung erörtert worden.

7 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.